Die Begründerin der Meinungsforschung in Deutschland, denkt noch längst nicht ans Aufhören.

Allensbach. Auf ihrem Nachttisch liegen immer Block und Stift, damit sie Ideen jederzeit notieren kann. Elisabeth Noelle-Neumann, Pionierin der Meinungsforschung und Gründerin des Allensbacher Instituts für Demoskopie, hält nichts von Müßiggang. Das Schlagwort vom "wohlverdienten Ruhestand" gehöre zu den "tragischsten Missverständnissen unserer Gesellschaft", sagt sie. "Denn man muss arbeiten, sonst verfallen die Kräfte." Heute feiert die Forscherin, die 1947 mit ihrem Mann Erich Peter Neumann das erste deutsche Umfrageinstitut gründete, den 90. Geburtstag.

Mit dem Thema Meinungsforschung in Kontakt kam Noelle-Neumann erstmals 1937/38 als Stipendiatin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) an der Universität von Missouri (Columbia/USA). 1916 in Berlin in eine wohlhabende Fabrikantenfamilie geboren, hatte sie Philosophie, Geschichte und Zeitungswissenschaften studiert. Empirische Sozialforschung nach der Methode von George Gallup wurde ihr Promotionsthema ("Meinungs- und Massenforschung in den USA"). Neu war die repräsentative Stichprobe, die alle Charakteristika der Bevölkerung widerspiegelt.

Darauf folgte eine Karriere als Zeitungsredakteurin in der Hitler-Zeit. Den Verdacht der Nähe zum Nazi-Regime weist sie aber vehement von sich. 1964 wurde sie Professorin an der Universität Mainz, wo sie das Institut für Publizistik aufbaute und sich 1968 der Studentenrevolte heftig widersetzte. Ihr Hauptengagement jedoch gilt dem Allensbacher Institut, das wie kein anderes den Deutschen seit Jahrzehnten den Puls fühlt. Der erste Auftrag kam von einem französischen Besatzungsoffizier, bis auch Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) die Bedeutung der Umfragen erkannte.

Seither hat das Institut Millionen Deutsche nach ihren Hoffnungen, Ängsten, Vorlieben und Abneigungen gefragt. Etwa 100 Mitarbeiter und 1800 nebenberufliche Interviewer sind für das Institut tätig, dessen Geschäftsführung sich Noelle-Neumann heute mit Renate Köcher teilt.

Auch wenn Medien-Analysen und Marktforschung dominieren, hat sich Allensbach vor allem mit der Erkundung der politischen Meinung einen Namen gemacht. Doch mit der früheren Treffsicherheit war es bei der Bundestagswahl 2005 vorbei. Allensbach hatte wie andere Institute einen klaren Sieg einer schwarz-gelben Koalition prognostiziert. Die Union indes verfehlte ihr Ziel und ging mit der SPD zusammen. Die Demoskopen haben die Schlappe mit der wachsenden Abneigung des Wählers, sich in die Karten schauen zu lassen, zu erklären versucht.

In der Debatte über Umfragemethoden und deren Wirkungen auf Politik und öffentliche Meinung hat sich Noelle-Neumann gegen den Vorwurf der Manipulation erfolgreich zur Wehr gesetzt, der durch ihre CDU-Nähe aufgekommen war. Ex-Kanzler Helmut Kohl zählt zu ihren engsten Freunden. Kontroversen löste auch ihr Werk "Die Schweigespirale" (1980) aus. Demzufolge wird die scheinbar vorherrschende Meinung von den Anhängern so offensiv vertreten, dass die vermeintliche Minderheit in der Öffentlichkeit verstummt.

In ihren kürzlich erschienenen Memoiren "Die Erinnerungen" bezeichnet die Jubilarin ihr Leben als "voller Wunder" und bisher "alles andere als langweilig". Das Erfolgsrezept der Allensbacher Ehrenbürgerin, die nach dem Tod ihres zweiten Mannes, des Kernphysikers Heinz Maier-Leibnitz, im Jahr 2000 allein in ihrem Häuschen am Bodensee wohnt: "Wer eine schwere Aufgabe bewältigt, Hindernisse überwindet, dessen Selbstbewusstsein wächst und mit ihm das Gefühl, glücklich zu sein".