Frankenfeld

Ein Arzt im Sold bestialischer Besatzer, der Gefangene an einer Rampe selektiert, um ihnen später, womöglich bei lebendigem Leib, die Organe herauszuschneiden - das ist ein entsetzliches historisches Detail, das nicht nur in Israel ansatzlos wiedererkannt wird. Wer aber einen diabolischen Mediziner des Typs Josef Mengele in einem Film als jüdischen Amerikaner darstellt, hat offenbar ein sehr originelles Verhältnis zur jüngeren Geschichte. Waren es nicht Juden, die in Auschwitz selektiert wurden, und waren es nicht Amerikaner, die viele KZs befreit haben?

Es ist nicht die einzige grobe Verzerrung, die den türkischen Polit-Reißer "Tal der Wölfe" entstellt. Dieser erfolgreich angelaufene und mit zehn Millionen Euro teuerste türkische Film aller Zeiten ist eine Retourkutsche der islamischen Welt auf zahllose Hollywood-Produktionen, in denen amerikanische Soldaten als edle Weltenretter und ihre Feinde bestenfalls als bösartige Kugelfänger porträtiert wurden. Und so häßlich haben wir den Amerikaner noch nie gesehen: Er bombardiert im Irak Hochzeitsgesellschaften, bringt Zivilisten um, errichtet Folterlager, spielt Kurden und Araber gegeneinander aus und reißt die Ölquellen an sich.

Und wie sieht die Wirklichkeit aus? Eben. Und das ist auch das Brandgefährliche an diesem Film - er schöpft aus dem reichen Fundus der außenpolitischen Fehler der Bush-Regierung, mischt sie mit eingängigen Klischees an und überzeichnet sie grotesk zu einer bunten Propagandablase gegen den christlich-jüdischen Westen.

Gleichzeitig bedient er das übersteigerte Nationalgefühl vieler Türken. Manche früheren türkischen Action-Filme waren auch schon gefährlich - man riskierte einen Zwerchfellriß, weil sie so erschütternd dilettantisch gemacht waren. Dieser nicht. "Tal der Wölfe" ist handwerklich ordentlich gefertigt und mit internationalen Mimen besetzt.

Und es gibt in dieser Orgie der Gewalt sogar ein paar friedensheischende Elemente, die offenbar die Glaubwürdigkeit des Werks untermauern sollen. Wie eine flammende Philippika gegen islamistische Selbstmordattentate und Geiselmorde. Der wunderbare syrische Schauspieler Ghassan Massoud, der jüngst in Ridley Scotts Kreuzfahrerepos "Königreich der Himmel" den weisen Sultan Saladin gab, bedient dieses Fach hier als toleranter irakischer Stammesfürst. Aber warum macht der holzschnittartige Antiamerikanismus "Tal der Wölfe" so erfolgreich?

Rückblende: 1992 erklärt der amerikanische Politologe Francis Fukuyama in einem Buch "Das Ende der Geschichte". Die historische Systementwicklung sei mit dem Fall des Kommunismus zu Ende, die liberale Demokratie amerikanischen Typs habe nun keine Alternative mehr. Nur ein Jahr später der Gegenentwurf seines Kollegen Samuel P. Huntington: "Der Zusammenprall der Zivilisationen" beschreibt unter anderem die Konfrontation der westlichen mit der islamischen Kultur.

Fukuyama oder Huntington - es ist eine Tragödie, daß in einer Schlüsselphase der Weltgeschichte ausgerechnet George W. Bush, der fehlende außenpolitische Kompetenz durch brachiales Sendungsbewußtsein und eine manichäische Gut/Böse-Weltsicht ersetzt, die Zügel der mächtigsten Nation der Welt in der Hand hält - und gestalterische Chancen der Hypermacht verspielt. Der Irak-Feldzug, Abu Ghraib, Guantanamo, die Erodierung von Bürgerrechten in den USA und Bushs ehrgeiziges Mega-Projekt "Greater Middle East", bei dem sämtliche islamische Staaten von Marokko bis Pakistan zu US-kompatiblen Demokratien umgestaltet werden sollen - dies hat Fukuyamas Traum vorläufig zertrümmert.

Ohne Zweifel stachelt "Tal der Wölfe" zum Haß gegen die USA auf, die immer noch einer der liberalsten Staaten der Erde sind. Daß dieser Film ausgerechnet in der laizistischen Türkei - Nato-Partner der USA - produziert wurde und Triumphe feiert, ist ein bedenkliches Indiz für den Verfall des amerikanischen Ansehens. Doch Amerika ist eine lebendige Demokratie; das System der Checks and Balances noch in Kraft. Das politische Pendel, das nach dem Schock des 11. Septembers 2001 weit in die Bush-Richtung ausschlug, schwingt längst wieder zurück. Man mag "Tal der Wölfe" als Ventil für gedemütigten islamischen Stolz werten. Wer diesen Zerrspiegel aber zur Basis seiner politischen Einstellung zu Amerika erhebt, handelt bestenfalls dumm.