U32: Testfahrt mit dem modernsten Schiff der deutschen Marine. Tauchen komplett computergesteuert: Jetzt wird der 470 Millionen Euro teure Gigant in Dienst gestellt.

Eckernförde. "Besatzung auf Tauchstation!" Der Befehl hallt blechern aus den Bordlautsprechern. Keine zwei Minuten später ist U32 verschwunden. Nur Wasserstrudel an der Oberfläche erinnern an den schwarzglänzenden Stahlzylinder, der nördlich der dänischen Stadt Skagen im Meer verschwindet.

"Turmluk zu, fluten, auf Seerohrtiefe gehen!" Korvettenkapitän Michael Bornholt steht breitbeinig in der Operationszentrale (OPZ) des neuesten U-Bootes der deutschen Marine. Den Kopf geneigt, hört er die Meldungen. Vor sich ein rundes, an seinem Ende meterdickes Edelstahl-Seerohr mit Joysticks an den Seiten.

"Boot ist eingependelt." Lautlos fährt das Seerohr aus, das jedes Schiff bis zum 12fachen vergrößert heranzoomen kann und mit Video- und Wärmebildkamera ausgerüstet ist. Bornholt (40) fokussiert die Zieloptik auf einen russischen Kreuzer der Kirow-Klasse, der plötzlich im Kielwasser auftaucht. "Zufall", sagt der Kommandant, der seine früheren Gegner heute bedauert. "Denen fehlt sogar das Geld für Diesel."

U32 ist auf dem Weg von Eckernförde nach Kristiansand in Norwegen. Vor der Küste sind die letzten Tieftauchtests des neuen Bootes geplant, das Bornholt "einen echten technologischen Kracher" nennt. Er schwärmt von der irren Kurvenlage des Bootes. "Wie bei einem Ferrari."

Die OPZ ist das Herz von U32. An der Decke Dutzende grauer, weißer Leitungen. An den Seiten Computerkonsolen für Radar, Waffen, Maschinen, Ruder und für Sonar, die Ohren des Schiffes.

Acht Offiziere und Unteroffiziere stehen an den Pulten, drücken Tasten, verfolgen Radarechos, warten auf Fehlermeldungen von Maschinen, Pumpen oder Ventilen. Nur der beleuchtete Seekarten-Tisch zerstört das Bild von einem Computer-Spielzentrum für Erwachsene. Hier wird der Kurs noch auf Papier mitgeplottet.

Kurs 75 Grad. Das Schiff sinkt weiter. Die Betriebstauchtiefe ist mit 250 Metern angegeben. Die Zerstörungstauchtiefe, in der der Wasserdruck die zentimeterdicke antimagnetische Stahlhülle zerquetscht wie eine leere Cola-Dose, kennt nur der Kommandant. "Alles geheim." Niemand schreit "Hinten unten fünf", wie im Wolfgang-Petersen-Film "Das Boot". Keiner dreht Ventile auf, zieht Hebel oder kurbelt an Rädern. Ein Hauptbootsmann tippt Zahlen auf dem roten Pult vor sich ein. Das war's. Alles andere erledigen die Computer.

Kapitänleutnant Olaf Stefanidies spricht von technischen Quantensprüngen, vergleicht den neuen Typ 212A mit den dreißig Jahre alten Booten vom Typ 206A, die noch im Dienst sind. "Das ist so wie Golf V und der Ur-Käfer." Olaf Stefanidies, der Schiffstechnische Offizier (St0), führt durch die 56 Meter lange, sieben Meter breite und 1500 Tonnen schwere Stahlröhre. Kosten: mindestens 470 Millionen Euro. Vier Schiffe sind bestellt, zwei Boote werden am 19. Oktober an die Marine übergeben.

U32, das zweite Boot, gebaut bei den Nordseewerken in Emden, wird seit einem Jahr getestet. Es ist das größte U-Boot, das seit 1945 eine deutsche Werft verlassen hat. Über 500 Tonnen große U-Boote waren bis zur Wiedervereinigung für die deutsche Marine verboten. Typ 212A ist zweistöckig gebaut. Nach dem Turm kommt die leise Ebene mit OPZ und den Kammern. 10 Sprossen tiefer liegen Torpedorohre, Messe und Kombüse.

Von der ersten Minute an lernt jeder U-Boot-Fahrer, sich geräuschlos zu bewegen. Unter Wasser ist jeder Ton kilometerweit zu hören und verrät den eigenen Standort. Selbst wenn U-Boot-Männer lachen, klingt es gedämpft. Nur hinter der cremefarbenen Stahltür im Heck des U-Bootes ist alles anders. In dieser kardanisch aufgehängten und extra schallgedämpften Zelle ist alles untergebracht, was Krach macht: Pumpen, Generatoren und der 1200 PS starke Diesel.

Stefanidies zeigt auf einen aluminiumfarbenen Kasten, der aussieht wie ein übergroßer Kühlschrank: die Brennstoffzelle, der modernste und leiseste Antrieb der Welt. "Selbst amerikanische Atom-Boote sind lauter", betont der Kaleu. Die Zelle verbrennt Sauerstoff und Wasserstoff, daraus wird Strom, und der sorgt für den Antrieb des siebenflügligen Propellers. Als Abfallprodukt liefert die Zelle noch warmes Wasser und Sauerstoff für die 27 Männer der Besatzung. Deshalb kann U32 drei Wochen unter Wasser bleiben. Nur Atom-U-Boote können länger tauchen.

"Wasser im Propellerraum", plärrt es aus den kleinen Lautsprechern an der Decke. Leckagetrupps, so heißt es, versuchen den Wassereinbruch zu stoppen. Nach wenigen Minuten die nächste Meldung "Wassereinbruch nicht zu stoppen. Alle Mann von Bord." Zum Glück ist es nur ein Übungsalarm . . . U32 hat nur eine Hülle und keine zwei wie andere U-Boote. Und kein Stahlschott, durch das gefährdete Abschnitte wasserdicht gemacht werden können. U32 ist so gebaut, daß es im Notfall immer an die Wasseroberfläche kommt.

Auftauchen. Wieder nur auf Tastendruck. Langsam durchbricht der Turm mit den charakteristischen Tiefenrudern an den Seiten die Wasseroberfläche. Neuer Tastendruck: der Diesel springt an. Mit acht Knoten, knapp 16 km pro Stunde fährt U32 auf die norwegische Küste zu. "Die Russen sind weg." Jens Wicklein, 24, sagt das und schaut Richtung Horizont. Der Obermaat aus Berlin hat sich für acht Jahre verpflichtet. Dann will er "Reiz und Risiko" U-Boot ausgelebt haben. Er träumt von einer Familie, doch in der Hauptstadt "lehnen die Frauen dankend ab, wenn ich erzähle, was ich mache." Sein Lebensrhythmus an Bord: vier Stunden Wache, vier Stunden schlafen. Wochenlang, monatelang. "So was geht tierisch auf die Knochen."

In der OPZ dreht sich das Gespräch um die neuen Sonaranlagen, die es ermöglichen, ein Schiff weit hinter dem Horizont zu hören. Auf den Sonar-Bildschirmen laufen grüne Streifen abwärts, wie im Film Matrix. Jeder Streifen ist ein Schiff. "Jede Schraube, jede Maschine hat Eigengeräusche, die einem Fingerabdruck gleichen", erzählt ein Unteroffizier.

U-Bootfahren ist nichts für feinfühlige Nasen. Mittags allerdings überdeckt Bratenduft den Männerschweiß aus den Sechs-Bett-Kammern. Die meisten Soldaten haben auf U32 ein eigenes Schlaffutteral - auf den alten U-Booten vom Typ 206A teilen sich zwei Mann jeweils eine Pritsche. Als Luxus gelten die zwei Duschen und Toiletten an Bord.

U-Bootfahrer sind genügsam. "Nur nicht beim Essen", sagt Smut Andy Gödecke, während er die Rotweinsoße für den Braten umrührt. Geeiste Melonensuppe und Joghurt-Nachtisch sind schon fertig. Andy Gödecke bittet zu Tisch, formvollendet, wie er es als Koch eines Sterne-Restaurants gelernt hat. Mit 25 Jahren kam die Einberufung. "Etwas spät", sagt er, und von U-Booten war nie die Rede. Jetzt steht der kräftige Mann in seiner zwei Quadratmeter großen Edelstahlküche und schmeckt die Soße ab.

Während der Smut kocht, pafft der Kommandant derweil auf der Brücke. Michael Bornholt zählt zu den handverlesenen Offizieren, die diese neuen Ferraris unter den U-Booten einfahren dürfen. Er sitzt auf der kleinen Brücken-Bank direkt vor den Seerohren, sucht die Russenschiffe. Seit der Wende hat sich der Auftrag der U-Boot-Flottille geändert. Heute zählt die Überwachung von Schiffen und Häfen vor allem im Mittelmeer zu den zentralen Aufgaben. "Dafür ist dieses Boot ideal", betont Bornholt. Wenn es die Wassertiefe zuläßt, traut er sich zu, fast jeden Hafen auszuspähen, ohne daß U32 entdeckt wird.

So wie Bornholt dasitzt, hat er wenig gemein mit dem Kommandanten aus dem Weltkriegs-U-Boot, den Lothar Buchheim in seinem Buch beschreibt. Doch das täuscht. "Die Technik hat sich geändert, aber Ton und Leben an Bord sind fast wie früher."

26 Mann. Vom Smut bis zum Ausguck. Seine Besatzung, seine Familie, sein Leben! Kommandant Michael Bornholt schaut auf die Wellen, bringt es auf den Punkt, warum er in einem U-Boot fährt und nicht in einem Büro an Land arbeitet: "U-Bootfahren ist das Maß aller Dinge."