Aufbruch: Eine der ungewöhnlichsten Werbeaktionen soll den Bürgern wieder Mut zur Zukunft machen. Zwei Männer hatten eine Idee, die 82 Millionen in Bewegung bringen soll.

Hamburg. Deutschland im Herbst. Grauer Himmel, Nebelschleier, schlechte Stimmung. Viele Menschen haben sich längst abgefunden mit Arbeitslosigkeit, Unternehmenspleiten, Wohlstandsverlusten. Wie die Bäume im Herbst die Blätter verlieren sie den Mut, werfen die Verantwortung ab. In Deutschland im Herbst 2004 wollten sich Bertelsmann-Vorstandschef Gunther Thielen und sein Freund Bernd Bauer damit nicht abfinden. Optimismus und Verantwortung sei gefragt, nicht Selbstmitleid. Das soll jeder wissen. Die Idee: 82 Millionen Menschen identifizieren sich wieder mit Deutschland. Ein Mammutprojekt. Als könne der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Taifun auslösen (siehe Text rechts auf dieser Seite).

Pathetisch, ungewohnt - so erscheinen jetzt Zeitungsanzeigen und Fernsehspots unter dem Titel "Du bist Deutschland". Direkt, konkret und in einer Sprache, die jedem aus dem "normalen Leben" vertraut ist, die aber kaum noch ein Politiker, Intellektueller oder Sportler öffentlich benutzen wollte. Seit dieser Woche - und noch bis Januar 2006 - tun sie es doch. Weil seit dem letzten Herbst die Idee von Bauer und Thielen immer mehr Anhänger fand.

Die ersten waren Holger Jung von der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt, ein Bekannter Bernd Bauers, sowie der Gruner+Jahr-Chef Bernd Kundrun. Der war bereits für die Initiative "Partner für Innovation" tätig. Dort hatten sich Firmen, Gewerkschaften, Forschungsintitute und die Bundesregierung zusammengetan, um ein reformfreundliches Klima in Deutschland zu schaffen. "Das Problem bei dem Projekt war, daß wir zwar die Meinungsführer erreicht haben", erklärt Bernd Bauer, Organisator von "Du bist Deutschland". "Wir hatten aber das Gefühl: Jetzt ist die Zeit, alle Deutschen anzusprechen. Sie zu animieren, von sich selbst wieder überrascht zu sein." Dazu brauchten sie Hilfe.

Also luden Thielen und Bauer alle großen Medienhäuser und Agenturen nach Berlin, um ihre Idee vorzustellen. Und hatten, für sie überraschend, Erfolg. "Die Resonanz war besser als erwartet. Wir waren nicht die einzigen mit dem Gefühl, daß sich etwas drehen muß." Heute unterstützen unter anderem Bertelsmann, Burda, "Der Spiegel", Gruner+Jahr und die Axel Springer AG die Initiative ebenso wie ARD, RTL und Pro Sieben/Sat.1. Sie stellen Sendezeiten und Werbeflächen im Wert von bisher rund 30 Millionen Euro zur Verfügung. "Das Großartige ist, daß alle unentgeltlich mitmachen", sagt Bauer. Das gelte für Verlage, Sender, Agenturen und Künstler, Sportler und Wissenschaftler, die mitmachen.

Entwickelt und koordiniert wurde die Kampagne nach dem Berliner Treffen in Hamburg von Oliver Voss von der Agentur Jung von Matt und dessen Kollegen Michael Trautmann von der Agentur KemperTrautmann, der zuvor ebenfalls bei Jung von Matt gearbeitet hatte. "Wenn wir alle ansprechen wollen, dann brauchen wir auch eine normale Sprache", beschreibt Voss die Entstehung des Slogans "Du bist Deutschland". Er soll auffordern und Mut machen. "Der Spruch ist entwaffnend ehrlich, eindringlich. Man kann sich nicht entziehen, muß den Ball aufnehmen."

So wie es auch viele bekannte Persönlichkeiten taten, die ihre Mitarbeit zusagten. Unter ihnen Günther Jauch, Sandra Maisch-berger, Marcel Reich-Ranicki, Walter Kempowski, Oliver Kahn und Harald Schmidt. "Die Resonanz war besser als erwartet, wir hatten mehr Freiwillige als nötig", sagt Trautmann. "Aber es treten auch Arbeiter, Angestellte in dem TV-Spot auf. Denn jeder, der etwas tut, ist ein Vorbild, wie Einstein oder Ludwig Erhard." Auch wenn das Pathos anfangs ungewohnt erscheine: "Wir wollen emotional aufwühlen, zum Nachdenken anregen, nicht von der hohen Kanzel hinab predigen", so Trautmann.

Die kühle Art vieler Reden habe nur dazu geführt, daß sich viele Menschen eben nicht mehr mit Deutschland identifizierten und das Gefühl verloren hätten, selbst etwas tun zu können. Rund 70 Prozent der Deutschen sind einer Studie zufolge der Meinung, sie hätten keinen Einfluß mehr auf ihr Schicksal und das ihres Landes. "Das müssen und wollen wir ändern", sagt Trautmann. "Wir sind an einem Punkt, an dem die Menschen zunehmend keine Lust mehr haben, sich selbst zu bemitleiden. Darum sagen wir: Du kannst etwas erreichen." Nach Kenndys Motto: Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern, was du für dein Land tun kannst.

Was das sein kann und was die Deutschen wollen, sollen sie selbst sagen und sich auf der Internetseite der Initiative, betreut von der Hamburger Agentur Fischer-Appelt, bei den Unterstützern einreihen. Der Anklang übertreffe die Erwartungen, sagt Lars Heitmüller von Fischer-Appelt, der bereits für die "Partner für Innovation" gearbeitet hatte. "Das ist das Ziel: Die Deutschen endlich aus dem Stillstand zu holen, den Startschuß zu geben, damit sie sich bewegen wollen", sagt Initiator Bernd Bauer. Den Startschuß, von zwei Männern mit einer Idee - für 82 Millionen.