Hiobsbotschaft neun Wochen vor der Wahl. Experten fürchten neuen Abschwung.

Berlin. Wer in der Berliner CDU-Parteizentrale die Nebenstelle 220 (030 / 220 70-220) anruft, wird direkt mit dem Bundeskanzler und SPD-Chef verbunden. Rund um die Uhr tönt Gerhard Schröders Arbeitslosen-Versprechen vom Band: "Ich habe immer gesagt, ich will mich messen lassen an der signifikanten Reduzierung der Arbeitslosigkeit", hört man des Kanzlers Stimme, "wenn wir das nicht schaffen", dann "haben wir es auch nicht verdient, wiedergewählt zu werden". Diese Worte holten den Bundeskanzler gestern ein. Florian Gerster, der neue Chef der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit, musste bekannt geben, dass entgegen dem üblichen Sommer-Trend die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen überraschend auf 3,954 Millionen anstieg - 260 000 mehr als im Juni 2001 und zugleich der höchste Juni-Wert seit Schröders Amtsantritt. Seit neun Jahren ist es überhaupt das erste Mal, dass die Arbeitslosenzahl von Mai auf Juni (um 8000) steigt. Die Arbeitslosenquote kletterte auf 9,5 Prozent. Wesentlicher Grund war laut Gerster die schlechte Lage in Ostdeutschland, wo die Arbeitslosenzahl mit 1,394 Millionen auf ein Rekordniveau stieg. Gerster wollte nicht ausschließen, dass im Jahresdurchschnitt die Arbeitslosenzahl noch über die von der rot-grünen Regierung erwartete Schmerzgrenze von vier Millionen steigen könnte. Doch damit nicht genug der schlechten Nachrichten. Das verarbeitende Gewerbe meldete einen Produktionsrückgang von 1,3 Prozent im Mai gegenüber dem Monat April. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erwartet 2003 ein erneutes Erlahmen der Konjunktur. Schröder wollte nicht von "hausgemachten Gründen" sprechen. Verantwortlich sei die weltweite Schwäche. Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) sagte dagegen, der Hinweis auf die Weltwirtschaft sei ein "plumpes Ablenkungsmanöver". Die Zahlen dokumentierten ein "verheerendes Versagen". Die Arbeitslosenzahlen - das zeichnet sich ab - werden zum Hauptthema im Wahlkampf werden. Die Bundesregierung versucht mit den Vorschlägen des VW-Personalvorstands Peter Hartz zu punkten. Die SPD bereitet zu dem Konzept für Mitte August einen "Kleinen Parteitag" vor. Die Union ihrerseits will am Freitag vorpreschen. Dann stellen Stoiber und sein Wirtschafts-Experte Lothar Späth in Berlin das Sofortprogramm "Offensive 2002" vor. Aus den Reihen der Hartz-Kommission verspach Schröder schon jetzt "maßgeschneiderte Vorschläge" für die Bekämpfung der besonders hohen Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland. Die Quote liegt dort mit 17,8 Prozent mehr als doppelt so hoch wie im Westen. Auch auf diesem Gebiet holten Schröder gestern seine eigenen Worte ein. Er hatte bei Amtsantritt den Aufbau Ost zur Chefsache erklärt. Ein Fehler, wie ihm gestern der langjährige Brandenburger Ministerpräsident und frisch ernannte SPD-Ost-Experte Manfred Stolpe bescheinigte. "Damit hat er die Wundergläubigkeit im Osten gestärkt", sagte Stolpe. Der Kanzler habe 1998 die Probleme unterschätzt. Das sei ihm aber auch klargeworden. "Der kanns inzwischen", so Stolpe über Schröder. Der Kanzler geht weiterhin davon aus, dass sich der beginnende Aufschwung auf den Arbeitsmarkt auswirken wird. Doch diese Hoffnung dämpften gestern die Forscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "Die Dynamik wird schwach, da der Euro aufwertet und es deshalb zu keinem Exportboom für deutsche Waren und Dienstleistungen kommen dürfte", heißt es in der Sommerprognose. Die Experten senkten ihre Erwartungen. Für 2002 geht es von einem Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent aus (bisher 0,9), für nächstes Jahr von zwei Prozent (bisher 2,4). Die Bundesregierung rechnet für das Jahr 2003 mit 2,5 Prozent.