Kirchentag: Fast eine halbe Million Katholiken und Protestanten feiern in Berlin ein großes ökumenisches Fest. Reformer trotzen dem Papst mit “offener Kommunion“.

Berlin. Hunderttausende Menschen feiern in Berlin den ersten Ökumenischen Kirchentag. Zum zentralen Eröffnungsgottesdienst am Brandenburger Tor und dem anschließenden Straßenfest kamen geschätzt zwischen 400 000 und 500 000 Menschen. Der evangelische Landesbischof von Brandenburg, Wolfgang Huber, umriss das Programm des Kirchentags mit den Worten: "Singen, beten, nach der Wahrheit suchen." An vielen Stellen der Bundeshauptstadt stoßen die Menschen auf das Logo des Kirchentags, einen stilisierten Heiligenschein, der an das Motto der Veranstaltung "Ihr sollt ein Segen sein" angelehnt ist. Papst Johannes Paul II. übermittelte eine Grußbotschaft. Der gemeinsame Kirchentag möge zu einem großen ökumenischen Zeichen werden, hieß es darin. Auf das von vielen Christen zum Kirchentag gewünschte, aber von ihm selbst abgelehnte gemeinsame Abendmahl ging er nur indirekt ein: "Ihr wohnt in dem Land, in dem die westliche Kirchenspaltung ihren Anfang nahm. Viele Schritte zur Versöhnung sind schon erfolgt. Setzt diese Bemühungen mit Sensibilität und Rücksichtnahme aufeinander, in Geduld und zugleich mit Mut in Ehrfurcht vor der Wahrheit und in aufrichtiger Liebe fort." Trotz des Papst-Verbots einer gemeinsamen Eucharistie luden die Reformbewegungen "Kirche von unten" und "KirchenVolksBewegung" gestern Abend in der Gethsemane-Kirche am Prenzlauer Berg zu einem Gottesdienst mit "offener Kommunion" ein. Der Name des katholischen Priesters, der die Messe vor 2000 Gläubigen zelebrierte, blieb bis zum Schluss geheim. Der Andrang war so groß, dass viele keinen Platz in der Kirche mehr fanden. An dem Eröffnungsgottesdienst hatte neben Bundespräsident Johannes Rau auch Bundeskanzler Gerhard Schröder teilgenommen. Der SPD-Chef wich - sichtlich beeindruckt von der Feier - von seinem Redemanuskript ab und bekräftigte, er werde an einer Initiative zum Schuldenerlass für die Dritte Welt festhalten. "Wenn ihr Sicherheit für euch wollt, dann müsst ihr anderen Sicherheit geben - vor allem in der Dritten Welt", sagte Schröder. Mit knapp 200 000 Dauerteilnehmern übertrifft der erste bundesweite Ökumenische Kirchentag deutlich die Besucherzahlen der vergangenen Katholikentage und der Evangelischen Kirchentage. Knapp 40 Prozent der Teilnehmer sind unter 30 Jahre alt. Frauen sind mit fast 60 Prozent deutlich in der Mehrzahl. Trotz der Menschenmassen - es wurden 1600 Reisebusse eingesetzt - blieb auf den Straßen ein Verkehrschaos aus. Für Tausende Bahnbenutzer wurde die Anreise allerdings zu einem wahren Leidensweg. Die völlig überfüllten Züge aus dem Westen und Südwesten kamen mit teilweise mehrstündiger Verspätung in Berlin an. Manche wurden gar nicht erst bereitgestellt, so dass die Reisenden mehrmals außerplanmäßig umsteigen mussten. Einer der 38 Sonderzüge hatte zwei Stunden Verspätung, weil der Lokführer einen Kollaps erlitt.