Außenminister Guido Westerwelle versucht bei einer Konferenz in Afghanistan Nachbarn als Partner zu gewinnen. Aber keiner traut dem anderen.

Kabul. Die Anreise lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die "Heart of Asia Ministerial Conference" in der Hauptstadt eines Landes im Kriegszustand stattfindet. Konvois gepanzerter Fahrzeuge schleusen die 42 Delegationen aus aller Welt vom Flughafen in die Innenstadt Kabuls. Überall sind Checkpoints eingerichtet, die Straßen wimmeln von Soldaten und Polizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag. Mit Kameras bestückte Zeppeline überwachen den Luftraum der mit geschätzt drei Millionen Einwohnern größten Stadt Afghanistans.

Außerhalb der zu Hochsicherheitstrakten ausgebauten Hotels und Ministerien gehen die Vertreter von 30 Regierungen und zwölf internationalen Organisationen keinen Schritt ohne Leibwächter. Den zehnten Jahrestag der Ernennung Hamid Karsais zum Präsidenten Afghanistans am Mittwoch hat Kabul ohne Anschlag überstanden. Geblieben ist einen Tag später die Furcht vor einem Attentat auf die Konferenz.

Nach ermüdenden Leibesvisitationen erst einmal im Tagungszentrum des Außenministeriums angekommen, geht es allerdings so geschäftsmäßig zu wie bei jeder anderen internationalen Konferenz auch. Für Europäer etwas ungewohnt mutet allein die Verlesung einiger Koran-Zitate zum Auftakt an. Ansonsten beherrschen die Afghanen die Inszenierung eines politischen Gipfeltreffens mit Gruppenfotos, Hinterzimmergesprächen und Palavern der Redner im Verhandlungssaal perfekt.

Schon der Name "Heart of Asia" ist wohlüberlegt, entliehen dem Titel eines poetischen Werks des pakistanischen Nationaldichters Muhammad Iqbal. Man kann das als Geste Kabuls an den großen Nachbarn Islamabad verstehen. Denn um Vertrauensbildung in dieser heiklen Region soll es ja gehen auf dieser Konferenz, bei der die Anrainerstaaten Afghanistans im Mittelpunkt stehen. Wenn die internationalen Kampftruppen wie vorgesehen 2014 abgezogen sind, dann ist das Land am Hindukusch auf eine einigermaßen funktionierende Kooperation mit seinen Nachbarn angewiesen - den Riesen China und Russland und vor allemPakistan und Iran, die eine endlos lange Grenze mit Afghanistan teilen. Das Ziel der Konferenz ist es deshalb, die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit der Länder im Herzen Asiens voranzubringen. Das heißt zunächst einmal, dass die Nachbarn die Souveränität Afghanistans achten und das Land nicht als den Hinterhof ihrer Interessen betrachten. In einem weiteren Schritt sollen die Handelsbeziehungen entlang der alten Seidenstraße wiederbelebt werden. "Der Abzug der internationalen Truppen ist eingeleitet", sagte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP) in Kabul, "dabei bleibt es." Deshalb sei es umso wichtiger, dass "die Nachbarstaaten die wirtschaftliche Entwicklung und damit die Stabilität in Kabul" unterstützen. Das Land werde nur gemeinsam mit seinen Nachbarn eine "friedliche Zukunft" haben.

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Formal wurde dieser Wunsch auf der nur wenige Stunden dauernden Konferenz erfüllt. In der Abschlusserklärung verpflichteten sich sowohl die Anrainerstaaten als auch die westlichen Unterstützerländer, konkrete "vertrauensbildende Maßnahmen" gemeinsam mit den Afghanen in Angriff zu nehmen. So wollen die Turkmenen eine grenzüberschreitende Eisenbahnstrecke bauen, die Deutschen beim Aufbau von wirtschaftlicher Infrastruktur helfen. Verpackt wurden diese Versprechungen in wohlklingende Rhetorik. Präsident Karsai sprach von "einer neuen Vision regionaler Kooperation". Irans Außenminister Ali Akbar Salehi beteuerte, "alle Missverständnisse sollten durch Dialog gelöst werden", wobei die USA sich aber herauszuhalten hätten. Und Hina Rabbani Khar, die Außenministerin Pakistans, sagte: "Die Probleme unter Nachbarn verständnisvoll anzugehen ist für alle von Vorteil."

Es gibt dabei nur ein Problem: Die Realität hat mit dieser Rhetorik wenig zu tun. So ist das Grenzgebiet zu Pakistan nach wie vor der entscheidende Rückzugsraum für die Taliban und andere Aufständische. Vorige Woche hatte US-Verteidigungsminister Leon Panetta in undiplomatischer Deutlichkeit ausgesprochen, dass sein Land am "Ende der Geduld" angekommen sei: "Pakistan muss etwas gegen die Terroristen in seinem Land unternehmen." Westerwelle, der sich am Rande der Konferenz mit seiner pakistanischen Kollegin Khar traf, gestand die "Probleme im Grenzgebiet" ein. Aber allein die Anreise Khars sei "schon ein ermutigendes Zeichen". Westerwelle verstand sich in Kabul als Partnervermittler, da muss man über Schwächen eines Kandidaten schon einmal hinwegsehen.

Auch die Strategie Irans sehen viele mit Skepsis. Es ist jedenfalls auffällig, dass sich Teheran künftig vor allem um Bildung und Wissenschaft in Afghanistan kümmern will. Welche Lehren werden die Mullahs wohl verbreiten? "Man kann sich seine Nachbarn nicht aussuchen", sagte Westerwelle, "sondern muss mit allen zusammenarbeiten."

Bleibt schließlich der Norden des Landes mit Anrainern wie Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan. In dem von der Bundeswehr betreuten Gebiet gehe der Prozess der Übergabe von Sicherheitsverantwortung an die einheimischen Kräfte vorbildlich voran, sagte Westerwelle. Die Region sei vergleichsweise stabil. Das ist wahr. Aber ein Diplomat gestand jüngst in einemMoment der Offenheit, woran das liegen könnte: "Es gibt dort so etwas wie ein Gleichgewicht des Schreckens zwischen Drogenbaronen, Warlords und lokalen Sicherheitskräften." Es bleibt also noch viel Raum für vertrauensbildende Maßnahmen zwischen alldiesen schrecklich netten Nachbarn, von denen keiner dem anderen traut.