Stromunternehmen verklagen Regierung vor Bundesverfassungsgericht. Bei einem Erfolg drohen den Steuerzahlern neue Kosten

Berlin/Düsseldorf. Die deutschen AKW-Betreiber wollen für den Atomausstieg vom Steuerzahler einen zweistelligen Milliardenbetrag kassieren: Sie fordern Schadenersatz von der Bundesregierung, weil sie ihre hohe Gewinne bringenden Atommeiler vorzeitig abschalten müssen. Allein der Versorger E.on macht einen Schaden von rund acht Milliarden Euro geltend, wie der Konzern bestätigte. RWE machte keine genauen Angaben, in Unternehmenskreisen war aber von Forderungen von mindestens zwei Milliarden Euro die Rede. E.on und RWE hatten bereits vor Monaten Verfassungsbeschwerde eingereicht, weil sie ihr Recht am Eigentum nicht gewahrt sehen, die Schadenshöhe aber bislang nicht beziffert.

Die Versorger haben durch die Atomwende der Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel Atomkraftwerke wie Biblis oder Isar 1 stilllegen müssen. Die Verfahren dürften mehrere Jahre dauern. "Eine richterliche Bewertung nützt allen, am Ende auch dem Rechtsfrieden", hatte RWE-Chef Jürgen Großmann sein Vorgehen begründet. E.on-Chef Johannes Teyssen sieht in dem beschleunigten Atomausstiegeinen Eingriff in das vom Grundgesetz geschützte Eigentum. Das sei ohneentsprechende Entschädigung verfassungswidrig. Die Konzerne hatten die Kehrtwende von Merkel nach der Atomkatastrophe in Fukushima vom März 2011 scharf kritisiert. Wenige Monate zuvor hatte Merkel die Laufzeiten der 17 deutschen Meiler noch verlängert. Nach Fukushima legte sie acht Meiler sofort still, die übrigen gehen schrittweise bis Ende 2022 vom Netz.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe dürfte nun die Bundesregierung, den Bundestag und Industrieverbände sowie Umweltschutzgruppen um eine Stellungnahme bitten. Nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" wird dies noch in dieser Woche geschehen. Die "FAZ" berichtete ohne Quellenangabe, dass die Gesamtforderungen der Betreiber auf rund 15 Milliarden Euro geschätzt würden.

"Die Bundesregierung hat keinerlei Zweifel, dass das Atomgesetz völlig verfassungsgemäß ist", kommentierte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter. "Selbstverständlich bleibt es jedem Unternehmen, jedem Betroffenen unbenommen, eine gerichtliche Überprüfung anzustreben." Heute beraten die Ministerpräsidenten der Bundesländer mit der Kanzlerin erneut über die Energiewende. Der Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Ulrich Kelber ging mit den Versorgern und der Regierung scharf ins Gericht. "Die schwarz-gelbe Bundesregierung erhält mit der unverschämten Entschädigungsforderung der großen Energiekonzerne die Quittung für ihr parteitaktisches Hin und Her in der Atompolitik."

Eine Sprecherin von Vattenfall sagte, der schwedische Konzern habe noch keine Verfassungsbeschwerde eingereicht. "Wir werden in Kürze eine Entscheidung treffen." EnBW prüft eine Entscheidung. "Wir gehen davon aus, dass unsere Verfassungsbeschwerde Erfolg haben wird", sagte ein E.on-Sprecher. Das Gericht muss prüfen, ob das neue Atomgesetz verfassungskonform ist. Über den Schadenersatz selbst entscheidet es nicht.

"Die Klagen sind nicht ohne Aussicht auf Erfolg", sagte Rechtsanwalt Christopher Bremme von der Kanzlei Linklaters der Nachrichtenagentur Reuters. "Im Kern wird es darauf ankommen, ob das Verfassungsgericht den Ausstieg aus der Kernenergie als eine Enteignung oder jedenfalls als eine - in Ausnahmefällen entschädigungspflichtige - Bestimmung des Inhalts und der Schranken des Eigentums ansieht", sagte der Anwalt.