Gauck schlägt im Gespräch mit Regierungschef Netanjahu kritische Töne an - aber betont die stabile Freundschaft zwischen beiden Staaten.

Jerusalem. Bundespräsident Joachim Gauck hat Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu direkt dazu aufgefordert, in der umstrittenen Siedlungspolitik ein "Zeichen" zu setzen. Ein solcher Schritt wäre ein "Schlüssel für den Friedensprozess" im Nahen Osten, betonte Gauck bei einem Treffen in Jerusalem. "Ehrlichkeit" in der politischen Auseinandersetzung sei "Ausdruck einer stabilen Freundschaft" beider Länder.

+++"Zeichen" und "Schlüssel": Gauck wirbt für Frieden in Nahost+++

Die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten gelten als entscheidendes Hindernis einer Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern. Gauck habe erneut deutlich gemacht, dass die Bundesrepublik fest an der Seite Israels stehe. Die von ihm angezweifelte Formulierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), das Existenzrecht Israels sei Teil der deutschen "Staatsräson", habe der Bundespräsident nicht benutzt. "Es gibt verschiedene Worte, das enge Zusammenstehen Deutschlands und Israels auszudrücken", sagte ein Gauck-Sprecher. "Die Botschaft ist immer die gleiche."

Der Bundespräsident hatte die Bezeichnung "Staatsräson" vermieden, da er "nicht in Kriegsszenarien denken" wolle. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag unterstützte Gaucks Klarstellung. Merkels Formulierung sei ein "verwegenes Wort, welches einer Unterfütterung bedarf", lobte er am Rande des Staatsbesuchs in Jerusalem.

+++Bundespräsident Gauck pocht auf Zwei-Staaten-Lösung+++

Nach Angaben des Gauck-Sprechers dauerte die Unterredung mit Netanjahu eine Stunde länger als ursprünglich geplant. Ein Hauptthema war das gemeinsame Wertefundament beider Länder. Außerdem seien der wissenschaftliche und wirtschaftliche Austausch erörtert worden.

Bei einem Besuch des Weizmann-Instituts für Wissenschaften in Rehovot bei Tel Aviv hatte Gauck zuvor gewarnt, die deutsch-israelischen Beziehungen auf eine "Kultur der Betroffenheit" zu beschränken. Zwischen beiden Ländern gebe es über die notwendige Vergangenheitsbewältigung hinaus "längst eine Tradition, Gegenwart und Zukunft zu gestalten".

Das im Jahr 1934 vom späteren ersten Staatspräsidenten Israels, Chaim Weizmann, gegründete Institut sei ein "beständiges Ausrufungszeichen in einer politischen Landschaft, die sich schwertut, an Aufklärung und Vernunft zu glauben", sagte Gauck. Im politischen Raum sei die "Aufklärung manchmal wie eine Schnecke" und "irgendwie versteinert". Kultur, Wissenschaft und Forschung bewiesen dagegen, "dass Fortschritt möglich ist".

Das Weizmann-Institut, an dem sich heute 2600 Mitarbeiter mit der Grundlagenforschung etwa zur Krebsbekämpfung befassen, gilt als einer der wichtigsten Partner in der deutsch-israelischen Wissenschaftszusammenarbeit. Sie nahm 1959 mit einem Besuch des damaligen Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, Otto Hahn, ihren Anfang. Zum Abschluss seiner viertägigen Nahostreise fährt Gauck heute in die palästinensischen Gebiete.