“Europa braucht den Euro nicht“, sagt Thilo Sarrazin in seinem neuen Buch. Ein Ortstermin

Berlin. Vermutlich ist Thilo Sarrazin Deutschlands erfolgreichster Autor. "Deutschland schafft sich ab" war das meistgehasste und meistverkaufte Buch des Jahres 2010. Trotzdem setzt DVA-Chef Thomas Rathnow ein bedenkliches Gesicht auf, wenn man ihn auf die Startauflage des neuen Sarrazin-Buchs "Europa braucht den Euro nicht" anspricht. 350 000 Exemplare lägen gedruckt und gebunden im Lager, sagt er dann. Und: "Ein Risiko!" Dabei ist das Ding wahrscheinlich der nächste Selbstläufer. Weil alle wissen wollen, was der "Verbal-Krawallo" ("Stern") dieses Mal von sich gegeben hat. Dieser ehemalige Bundesbankvorstand, den der Journalist Jakob Augstein gerade "eine kuriose Erscheinung" genannt hat. "Eine Mischung aus Dieter Hallervorden und Ekel Alfred."

Damit steht Augstein nicht alleine da. In Berlin waren gestern bei der Buchvorstellung auch alle gegen Thilo Sarrazin. Ausgenommen ein paar ältere Herren, die sich das Buch anschließend signieren ließen und dem Autor für weitere Werke Mut zusprachen. Zwischen den etwa 150 Journalisten, die ins Hotel Adlon am Pariser Platz gekommen waren, und Sarrazin herrschte hingegen eine ungemütlich frostige Atmosphäre. Sarrazin sollte spüren, dass er der Bad Guy bleibt, ganz egal wie viele Bücher er noch schreibt und ob die gut sind oder schlecht, beziehungsweise ob das, was drinsteht, falsch ist oder vielleicht doch richtig.

Um es vorweg zu sagen: Thilo Sarrazin hat sich gut geschlagen. Er hat sehr aufrecht und aufmerksam dagesessen, während Rathnow sagte, dass das neue Sarrazin-Buch ein Buch sei, das der Laie mit Gewinn lesen könne und das die Experten nicht langweile. Er hat die Zusammenfassung seines Lebenslaufs - Büroleiter beziehungsweise Referatsleiter dreier Bundesfinanzminister, Koarchitekt der deutschen Währungsunion, Finanzstaatssekretär in Rheinland-Pfalz, Finanzsenator in Berlin, Vorstandsmitglied der Bundesbank in Frankfurt am Main - mit einem kleinen Dauernicken begleitet und fast unmerklich gelächelt, als sein Laudator, der hannoversche Ökonom Stefan Homburg, das Euro-Buch als "aufklärerisch" bezeichnete. Anschließend hat Sarrazin einen nahezu einstündigen Vortrag gehalten. Kernthese: "Eine Währungsunion ohne politische Union kann keinen Bestand haben."

Als "historisch beschlagener Zeitgenosse" (Sarrazin über Sarrazin) hat der 67-Jährige erklärt, Europa brauche den Euro nicht, denn die Sicherung von Frieden und Freiheit, Wohlstand und Arbeitsplätzen habe ja bekanntlich vorher sehr gut ohne eine gemeinsame Währung funktioniert.

Nach der Hälfte dieses Vortrags haben die meisten Journalisten ermattet die Stifte sinken lassen. Als sie das Ende nahe glaubten und Sarrazin mit der didaktischen Frage "Wie gehe ich in dem Buch vor?" zu neuem Schwung ausholte, haben sie aufgestöhnt.

Als klar war, dass sich Sarrazin nicht provozieren lassen würde - nicht einmal mit Fragen nach der vorab skandalisierten Buchpassage, in der es um den von Sarrazin behaupteten Zusammenhang zwischen deutscher Kriegsschuld und Holocaust einerseits und nachgiebiger deutscher Euro-Politik andererseits geht -, war die Luft endgültig heraus. Am Ende haben einige das Adlon regelrecht enttäuscht verlassen, und das magere Dutzend, das vor dem Hotel "Für ein Europa ohne Grenzen und Sarrazin!" demonstriert hatte, war zu diesem Zeitpunkt sowieso schon lange abgezogen.

Wie muss man sich die gegenwärtige Gemütsverfassung eines Mannes vorstellen, der so viel Hass auf sich gezogen hat? "Jetzt", so Thilo Sarrazin mit einem Augenglitzern zum Hamburger Abendblatt, "wird der eine oder andere sehen, dass sich Sarrazin nicht nur mit Demografie und Zuwanderung befasst, sondern auch noch in ein paar anderen Themen auskennt!"

Dieser Mann ist einfach nicht kleinzukriegen.