Er gibt sich gern bescheiden, doch ohne Christian Lindner geht in der FDP nichts mehr. Philipp Rösler ist Parteichef und Minister auf Abruf.

Hamburg. Ohne das Zutun von Parteichef und Vizekanzler Philipp Rösler kann sich die FDP wieder in der Gunst der Bürger behaupten. Bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wurden Traumergebnisse eingefahren. Nach dem Dauertief klettern auch bundesweit die Umfragewerte wieder. Obwohl sie nicht an der Regierung beteiligt sind, gelten die Spitzenkandidaten Wolfgang Kubicki und Christian Lindner als die wahren Retter der FDP. Von ihnen hängt jetzt auch das Schicksal des glücklosen Rösler ab. Denn beide machten vor den Wahlen klar, dass sie den Parteichef für ihre Kampagnen nicht wirklich brauchen.

Offiziell stützen Lindner und Kubicki ihren Vorsitzenden. Weil der bärbeißige Unbequeme aus dem Norden sich selbst jedoch als "Auslaufmodell" sieht, lässt sich die Zukunft der FDP gar nicht mehr vom Namen Christian Lindner lösen. Seine politische Achterbahnfahrt der vergangenen fünf Monate hat ihn zum heimlichen Vorsitzenden gemacht. "Mit Anfang 30 kann man noch nicht Vorsitzender einer Regierungspartei sein", sagte Lindner in neuer Bescheidenheit. Bei seinem überraschenden Rücktritt als Generalsekretär habe er den Top-Job für sich ausgeschlossen. "Jetzt tue ich das noch immer." Dem Abendblatt sagte er, er wolle nun sein Bundestagsmandat abgeben und sich voll auf die Arbeit als Fraktionschef in NRW konzentrieren. Aus der Bundes- in die Landesliga - das sei kein Problem, sagte Lindner.

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Bei einer exklusiven Talkrunde im Hamburger Hotel Grand Elysée bekannte er dem Moderator Rafael Seligmann allerdings: Natürlich strebe er nach Macht. Und das sind keine guten Nachrichten für Parteichef Rösler. Die FDP-Kampagneros sind zurück und drohen noch vor der Bundestagswahl 2013 Rösler zu entmachten. Kubicki und Lindner haben gezeigt, wie Wahlkampf geht. Anders als Umweltminister Norbert Röttgen stürzte sich Lindner mit Haut und Haaren in die Landespolitik und machte klare Ansagen zu seiner Zukunft - ein Anti-Röttgen gewissermaßen. "Ich schätze Norbert Röttgen menschlich", sagte Lindner. "Er hatte sein Ressort im Griff, auch wenn ich eine Reihe von Entscheidungen aus dem Umweltministerium nicht richtig finde. Die Bundeskanzlerin hat ihn sicher nicht aus einer Laune heraus entlassen." Etwa 190 000 CDU-Stimmen gingen in NRW von Röttgen zu Lindner.

Sein urliberales Credo hat sich Lindner unter anderem vom ebenfalls aus dem Rheinland stammenden Guido Westerwelle abgeschaut, der in jahrelanger Oppositionsarbeit emporkletterte und der FDP im Bundestagswahlkampf 2009 mit 14,6 Prozent das beste Ergebnis der Geschichte brachte. Rösler wird außerdem in die Zange genommen von Fraktionschef Rainer Brüderle und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Mit Blick auf seine asiatische Herkunft sagte Rösler einst, er sei wie Bambus, biege sich im Wind, breche aber nicht. Brüderle sagte noch vor dem Wahlsonntag: "Glaubwürdigkeit gewinnt man, indem man nicht wie Bambusrohre hin und her schwingt, sondern steht wie eine Eiche. Deswegen ist die Eiche hier heimisch und nicht das Bambusrohr." Das sei aber nicht auf Rösler gemünzt, beschwichtigte er später. Süffisant kommentierte Kubicki jetzt: "Eichen muss man weichen."

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Jungstar Lindner lobte Leutheusser-Schnarrenberger. Sie stehe wie eine Eins gegen die geplante Vorratsdatenspeicherung und die Datensammelwut des Staates. "Vater Staat ist nicht neutral", warnte Lindner. Die Parteien und Interessengruppen hätten den Staat gekapert. Und selbst 16 Landeskriminalämter und 16 Verfassungsschutzämter hätten es nicht geschafft, die Taten der Zwickauer Neonazizelle aufzudecken.

So steht Lindner hinter seiner Partei und kritisiert doch "die da in Berlin". Brav wie ein Musterknabe dekliniert er die Bescheidenheit des vorerst verglühten Superstars herunter: Er habe noch nichts erreicht, der Erfolg in NRW sei ein Vorschuss der Bürger, Karrieren seien flüchtig, Tipps für die Bundespolitik möchte er lieber nicht abgeben.

Und mittendrin hockt FDP-Chef Rösler in der Falle. Die FDP sehe "in der Entscheidung der Bundeskanzlerin" zur Umbesetzung des Umweltministeriums "eine Fortsetzung der stabilen Zusammenarbeit in der Regierungskoalition", erklärte Rösler am Mittwoch. Deutschland stehe bei der Energiewende "vor großen Herausforderungen". Sein monatelanger Streit mit Röttgen um die Solarförderung und den Kurs in der Energiewende waren urplötzlich kein Thema mehr.

In seiner Partei kann er nicht punkten, bei seiner "Chefin" (O-Ton Rösler) ruft er Stirnrunzeln hervor, auch durch missratene Vergleiche und Witze über Angela Merkel. Und politisch ergeben sich für die Liberalen Optionen, die Rösler nicht schmecken können.

Lindner zeigte sich geschmeidig und rational wie einst FDP-Ikone Hans-Dietrich Genscher, der 1982 die Koalitionsfarben wechselte. "Wir haben Berührungspunkte zur CDU und zur SPD." In NRW bekämpfe man die Schuldenpolitik. "Aber in der Industriepolitik und in anderen Fragen liegen wir praktisch auf einer Linie mit der SPD." Mit einem wieder erstarkten Lindner wird die FDP wieder zur begehrten Braut.