SPD und Öko-Partei bekommen durch den Norden zu spüren, dass ihr Wunschbündnis noch lange nicht das Potenzial zur Siegerkonstellation für 2013 hat

Berlin. Cem Özdemir ist "Schleswig-Holstein-verseucht". Sagt er jedenfalls, als er verlegen lachend in der Berliner Zentrale der Grünen steht. Zweimal versprochen hat sich der Parteichef eben, und das innerhalb nur weniger Sekunden: Man werde sich "ab jetzt volle Kanne in Schleswig-Holstein reinhängen" - dabei ist die Wahl im Norden ja gerade gelaufen, und eigentlich hatte Özdemir auch Nordrhein-Westfalen gemeint, das in einer Woche über einen neuen Landtag abstimmt. Und dann redet er wenig später über "die Minderheitenregierung in Schleswig-Holstein" und meint natürlich auch die in NRW, die Grüne und SPD dort derzeit noch bilden. Özdemir zuckt mit den Schultern. Er sei jetzt so oft im Norden gewesen, dass er sich dort einen Zweitwohnsitz zulegen könne, scherzt er. Da kann das schon mal passieren.

Der etwas konfuse Zustand des Parteichefs entspricht ganz gut der Stimmung der Bundesgrünen. Zwar konnte das Ergebnis in Kiel verbessert werden, aber es liegt auch nicht da, wo es vor einigen Monaten noch hätte liegen können. Wird man mitregieren können oder doch nicht? Noch ist alles offen. Und so ist der Jubel zwar da in Berlin, aber eben auch nicht überschwänglich oder gar euphorisch. Zwei bis drei Dutzend Parteimitglieder stehen bei Bio-Bier und Butterbrezeln zusammen und prosten sich auch mal mit Sektgläsern zu, damit die Kameraleute ein paar gute Bilder bekommen.

Drei Lektionen können die Grünen aus der Wahl an der Förde mitnehmen: Zum einen ist jetzt endgültig klar, dass die Öko-Partei nicht das Potenzial zur dritten Volkspartei in Deutschland hat. Der Höhenflug in den Umfragen von vor einem Jahr, der den Grünen mit Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg sogar ihren ersten Ministerpräsidenten beschert hat, ist beendet, und alle warnenden Stimmen, man möge dies nicht überbewerten, haben recht behalten. Zweitens haben die Piraten die Grünen als Protestpartei wohl endgültig abgelöst. Wer mit dem Establishment unzufrieden ist, macht bei den politischen Freibeutern sein Kreuz. Und schließlich - was gleichermaßen für die SPD gilt - ist das rot-grüne Wunschbündnis in Zeiten einer wachsenden Parteienlandschaft nur noch schwer zu erreichen. In den Ländern, aber wohl auch nach der Bundestagswahl 2013.

Das ist auch Sigmar Gabriel klar, als er sich nach Bekanntwerden der ersten Hochrechnungen im Willy-Brandt-Haus um ein Lächeln bemüht und auf das Podium vor die Kameras tritt. Der SPD-Chef weiß, dass seine Partei hinter den eigenen Erwartungen zurückgeblieben ist. Viel schöner wäre es gewesen, einen klaren Sieg von Spitzenkandidat Torsten Albig verkünden zu können. Stattdessen muss Gabriel jetzt holzen - gegen die anderen: "Es gibt zwei Parteien, die in Schleswig-Holstein verloren haben, und das sind CDU und FDP", ruft er. Wem das nicht auffalle, der habe mathematische Schwächen. Dies sei die zehnte Landtagswahl in Folge, bei der Schwarz-Gelb keine Mehrheit bekommen habe.

So weit, so wahr. Trotzdem ist die Stimmung auf der Wahlparty eher nüchtern, denn auch die Sozialdemokraten wissen längst, dass es durch die Stärke der Piraten immer schwieriger wird, aus der Schwäche des schwarz-gelben Lagers Kapital zu schlagen. Das ist durch Schleswig-Holstein offenbar geworden - und wird auch an diesem Abend in der SPD-Zentrale in Gesprächen zwischen Genossen thematisiert. Nur das Rezept dagegen, das hat im Moment noch keiner gefunden.

Und so gilt auch am kommenden Sonntag in Nordrhein-Westfalen bislang nur, dass noch gar nichts sicher ist. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) liegt zwar vorn, aber ob es für eine Mehrheit reicht, hängt vor allem vom Ergebnis der Piraten ab. Die Wahl im Norden ist damit ein erster Vorgeschmack für die Regierungswilligen der Republik, dass es wohl immer mehr nötig werden wird, sich von alten Denkmustern und damit auch eingespielten Bündnisoptionen zu verabschieden. Das Ergebnis im Norden zeigt: Der Wähler hat dies längst getan. Und eine Große Koalition mit der CDU will die SPD wiederum nur ungern eingehen. Die Alternative könnte und müsste daher lauten: Rot-Grün plus ein dritter Partner - Linke, Piraten und auch die FDP stünden bereit.