Als erster Deutscher sprach Bundespräsident Joachim Gauck zum “Tag der Befreiung“ zu den Niederländern - und bewunderte deren Lockerheit

Breda. Fast schien es, als wäre das Programm des Befreiungstages in den Niederlanden für Joachim Gauck persönlich entworfen worden. Freiheit und Verantwortung, die Eckpfeiler seines politischen Denkens, waren auch Thema des Tages in der Grote Kerk von Breda. Zum ersten Mal sprach am 5. Mai ein Deutscher an dem Tag, an dem das Ende der brutalen Nazi-Herrschaft im Nachbarland gefeiert wird. Schuld und Leid, Widerstand und Versöhnung, die Zukunft Europas, das waren die Kernpunkte seiner Rede.

Die Deutschen feierten "mit allen gemeinsam die Befreiung vom nationalsozialistischen Joch", sagte Gauck in seiner Rede mit dem Titel "Befreiung feiern - Verantwortung leben". Er rief zugleich dazu auf, als Konsequenz aus der Nazi-Barbarei dem Wert der Freiheit neue Geltung zu verschaffen. Während Völker in anderen Teilen der Welt die Freiheit entdeckten, könnten viele Menschen in Europa deren Segen "nur sehr begrenzt erfassen", kritisierte das Staatsoberhaupt und forderte mehr Verantwortung und Gemeinsinn.

Gauck verwies darauf, dass er im Jahr 1940 geboren wurde, "dem Jahr, in dem die Niederlande Opfer deutscher Großmachtpolitik und deutschen Rassenwahns geworden sind". Er erinnerte an die mehr als 100 000 niederländischen Juden, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden und an die Hunderttausende zum Arbeitseinsatz nach Deutschland deportierten Niederländer. Es sei für einen Deutschen wie ihn daher nicht selbstverständlich, dass er diese Ansprache halten dürfe. Das ihm und der Bundesrepublik entgegengebrachte Vertrauen sei ein unvergessliches "Geschenk".

Den Niederländern war die Bedeutung des Auftritts durchaus bewusst. Mehrfach war von einer historischen Stunde die Rede. Dabei sollte eigentlich Christian Wulff in Breda sprechen, doch dazu kam es dann nicht mehr. Nach Wulffs Rücktritt als Bundespräsident und Gaucks Wahl im März erneuerten die Niederländer die Einladung, kaum ahnend, wie passend Thema und Anlass für den Ex-Pastor aus Rostock waren.

Auf dem Flug wirkte er angespannt, später erleichtert über seinen gelungenen Auftritt. Worte des Dankes und der Zustimmung konnte er "einsammeln wie Blumensträuße", sagte er danach und bewundert die "unglaubliche Lockerheit" der Nachbarn. Bei einer Bootsfahrt in Amsterdam zusammen mit Königin Beatrix klang der Abend aus - unter dem Jubel vieler Tausend Niederländer. Routine ist das noch nicht, was Gauck auf seinen Antrittsbesuchen in den Nachbarländern vorlegt. Manchmal steht er eher noch etwas ungläubig neben sich. "Ein Flugzeug für mich", sagte er staunend im Bundeswehr-Airbus auf dem Flug nach Stockholm am Freitag, "eine unwahrscheinliche Geschichte". Und der Kontakt zu gekrönten Häuptern scheint ihn zu beeindrucken und auch ein bisschen zu amüsieren. "Ich übernachte heute im Schloss - auch schön so etwas."

Auch seine Lebensgefährtin Daniela Schadt gesteht, dass sie sich noch nicht ganz an die neue Rolle der First Lady gewöhnt hat. Noch ist sie etwas irritiert vom Blitzlichtgewitter, das jeder ihrer Auftritte in der Öffentlichkeit auslöst. Der Journalistin fällt der Abschied vom Beruf nicht leicht. Immer wieder fragt sie sich: "Wie würdest du das jetzt schreiben?" Aber nun sitzt sie auf der anderen Seite, ist nicht mehr Chronistin, sondern Akteurin.

Offiziell gar kein Thema, aber im Hintergrund präsent war der Fall des Klaas Carel Faber, der in den Niederlanden wegen Kriegsverbrechen verurteilt wurde und dennoch, inzwischen 90-jährig, unbehelligt in Deutschland lebt. Vor dem Besuch hatte der Fall Kritik an der Einladung Gaucks ausgelöst. Danach gefragt sagte er: "Wir haben kein Interesse daran, Verbrecher zu schützen." Aber dann machte er kurz vor dem gefährlichen Punkt halt, an dem man ihm Einmischung in die Justiz vorwerfen könnte, und sagte, die Rechtsordnung müsse natürlich respektiert werden. "Ich bin kein König", fügte er noch hinzu.

Vor ein paar Wochen, in Brüssel, war ihm ein kleiner Lapsus unterlaufen, als er die Meinung kundtat, das Verfassungsgericht werde Schritte zur weiteren europäischen Integration sicher nicht "konterkarieren". Das war ihm als Bevormundung des höchsten Gerichts ausgelegt worden. Die Kritik nimmt Gauck gelassen. "Alle haben sich gewünscht, ich soll bleiben, wie ich bin." Dass das nicht ganz einfach ist, spürt der 72-Jährige. "Hoffentlich wird es nicht so, dass ich in fünf Jahren überhaupt nicht mehr Gauck bin."

Die Niederländer waren jedenfalls mit dem Bundespräsidenten zufrieden. Und sie dankten es ihm auf ihre Weise: In einer filmischen Collage am Ende des Festaktes waren Freiheitshelden wie Martin Luther King und John F. Kennedy zu sehen, Nelson Mandela und Mahatma Gandhi - und mittendrin: Joachim Gauck.