Bisher fahren nur gut 2000 Elektroautos auf deutschen Straßen. Die Kanzlerin wünscht sich eine Million bis 2020

Hamburg/Berlin. Noch ist Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) viele Kilometer entfernt von ihrem Ziel, Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität zu machen. Erst 2300 Elektroautos rollen derzeit auf deutschen Straßen. Eine Million dieser Fahrzeuge sollen es schon 2020 sein und sechs Millionen in 2030. Um dieses Ziel zu erreichen, wollen Politik, Industrie, Gewerkschaften und Wissenschaft den Markt für Elektroautos gemeinsam anschieben. Von der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE) erhielt Merkel gestern nach 2010 den zweiten Bericht. Der NPE-Vorsitzende, der Physiker und Industriemanager Henning Kagermann, forderte klare Anreize für Käufer und Industrie durch den Staat.

Dieser wird nun nach Angaben der Kanzlerin eine weitere Milliarde Euro bis 2013 für Forschung und Entwicklung ausgeben. Zudem will die Regierung mit Steuervergünstigungen und Sonderrechten für E-Autos im Straßenverkehr die Verbraucher zum Kauf eines der strombetriebenen Fahrzeuge locken. Zehn Jahre sollen Elektroautos von der Kraftfahrzeugsteuer befreit werden - bisher sind es nur fünf. Darüber hinaus sollen Fahrer von E-Autos bei Parkplätzen in Stadtzentren privilegiert werden, möglicherweise dürfen sie bald sogar Busspuren mitbenutzen. Die Wirtschaft hat nach Worten Merkels die Maßnahmen bereits begrüßt und will in den nächsten drei bis vier Jahren 17 Milliarden Euro investieren.

Den Grünen gehen die Pläne der Regierung jedoch nicht weit genug. Allein mit Forschungsförderung werde Deutschland bis 2020 niemals eine Million E-Autos auf die Straße bekommen, sagte Fraktionschefin der Grünen Renate Künast. Sie forderte eine Kaufprämie von 5000 Euro, damit "E-Autos in Deutschland endlich durchstarten".

Auch die Energie-Expertin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert, fordert weitere Maßnahmen wie eine Kaufprämie. Andere Länder seien bei der Entwicklung von Elektromobilität schon viel weiter und hätten früher investiert, sagte Kemfert dem Abendblatt. Die Befreiung von der Kfz-Steuer sei nur ein erster richtiger Schritt.

Doch für die Kanzlerin ist eine einfache Kaufprämie nicht die richtige Antwort. "Wir wissen, dass wir in einem globalen Wettbewerb stehen", sagte Merkel. Es sei auch klar, dass es nicht einfach werde, Deutschland international an die Spitze zu bringen. Es gehe aber nicht nur um attraktive Produkte und Exporte, sondern auch um 30 000 zusätzliche Arbeitsplätze bis 2020.

Merkel steckt bei den Elektroautos in einer Zwickmühle: Einerseits benötigt die deutsche Autoindustrie Staatshilfen, um die bei der Zukunftstechnik enteilten asiatischen und französischen Hersteller einzuholen. Ohne Geld aus der Staatskasse sei das nicht möglich, erklären die Automanager. Andererseits aber verdienen die Autobauer nach überstandener Krise glänzend, da lassen sich Zuwendungen in Milliardenhöhe politisch schwer verkaufen.

Die Kanzlerin erhielt gestern nicht nur den Bericht der Nationalen Plattform Elektromobilität. Auf Tausenden Miniatur-Atommüllfässern hatten Gegner der Kernenergie vor dem Bundeskanzleramt ihre Unterschrift hinterlassen und sich damit gegen die Atomkraft ausgesprochen. Adressiert waren die gelben Dosen mit dem Gefahrenzeichen für radioaktive Strahlung an die Kanzlerin. Als "Return to sender" - zurück an den Absender.

Die Atomkraftgegner machen bei der Debatte um die Energiewende seit Wochen auch mobil gegen die vier großen Stromkonzerne E.on, Vattenfall, RWE sowie EnBW. Auch die SPD will die Vormacht der vier Energiekonzerne beschneiden. Ihr Anteil an der Stromversorgung müsse bis 2020 auf 50 Prozent begrenzt werden, heißt es in einem gestern vorgestellten SPD-Aktionsprogramm zur Energiepolitik. Derzeit kommen die Unternehmen zusammen auf einen Anteil von 80 Prozent. Die SPD erhofft sich davon auch eine Stabilisierung bei den Preisen. Eine Energiewende könne nur von unten beginnen, erklärte Parteichef Sigmar Gabriel. Laut SPD soll bis spätestens 2020 der Atomausstieg vollzogen sein. Dazu gehöre die sofortige Stilllegung der ältesten sieben Meiler und des Pannenreaktors Krümmel. Eine Übertragung von Reststrommengen soll es nicht geben.

Heute will die Kommission für Reaktorsicherheit (RSK) ihre Ergebnisse der Überprüfung der 17 deutschen Atommeiler in Berlin vorstellen. Im Vorfeld übt Schleswig-Holsteins Atomaufsicht heftige Kritik an der laufenden Überprüfung der Kernkraftwerke durch eben diese Kommission. Viele Fragen der RSK seien von den Betreibern der Anlagen "nicht mit der für eine atomaufsichtliche Bewertung erforderlichen Qualität beantwortet" worden, heißt es laut "Spiegel" in einem Brief an RSK und Bundesumweltministerium. Die Gefahr gezielter Flugzeugabstürze durch Terroristen würde bei dem Stresstest "nicht oder - wenn überhaupt - nur rudimentär" behandelt.