BKA-Chef Ziercke fürchtet Vergeltungsaktionen nach Tod Bin Ladens. Merkel will Anti-Terror-Gesetze verlängern

Berlin. Nach der Tötung von Osama Bin Laden rechnen die deutschen Sicherheitsbehörden mit Reaktionen radikaler Islamisten. "Al-Qaida wird jetzt beweisen wollen, dass es als Netzwerk weiter funktioniert", sagte Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), der "Welt am Sonntag". Möglicherweise könnten Anschlagspläne, die seit Langem in der Schublade liegen, jetzt vorgezogen werden. "Wir haben unsere Sensoren ausgefahren", sagte Ziercke. "Die Sicherheitsbehörden haben an vereinzelten Brennpunkten die Sicherheitsmaßnahmen erhöht und die Überwachung der Gefährder verstärkt." Über laufende Ermittlungsverfahren habe man einen guten Einblick in die Szene und bekomme mit, "wenn das berühmte Grundrauschen lauter werden sollte". In den nächsten 14 Tagen werde man wissen, wie es weitergeht, sagte Ziercke.

Mögliche Attentate erwartet der BKA-Chef am ehesten in Pakistan. Deutschland sei aber seit Langem Teil eines weltweiten Gefahrenraums. Nach Erkenntnissen des BKA wachse die Zahl der Personen mit einem Bezug zu Deutschland, die in Ausbildungslagern im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet eine terroristische Ausbildung erhalten hätten. "Uns liegen Informationen zu rund 250 Personen vor, die seit Beginn der Neunzigerjahre eine paramilitärische Ausbildung erhalten haben sollen oder eine solche beabsichtigen", sagte Ziercke. Aktuell existierten zu rund 70 dieser Personen konkrete Hinweise, die für eine absolvierte Ausbildung in einem Terrorcamp sprechen würden. Die Zahl der Gefährder bezifferte Ziercke auf 130.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich unterdessen für die Verlängerung der Anti-Terror-Gesetze und das Instrument der Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. "Einen großen Teil der Vorschriften brauchen wir auch in Zukunft, um terroristische Anschläge in Deutschland verhindern zu können", sagte Merkel der "Passauer Neuen Presse". Es sei "selbstverständlich denkbar, dass wir die Verlängerung der Anti-Terror-Gesetze erneut befristen", erklärte Merkel. "Auf das Instrument der Vorratsdatenspeicherung können wir im Zuge der Terror- und Verbrechensbekämpfung nicht verzichten, zumal wir verpflichtet sind, eine entsprechende EU-Richtlinie umzusetzen", sagte sie. Ohne Zwischenfälle verlief am Sonnabendabend eine Kundgebung des islamistischen Predigers Pierre Vogel am Frankfurter Stadtrand. Die Polizei schätzte die Zahl der Teilnehmer auf rund 400. Die Kundgebung war ursprünglich als "Totengebet für Osama Bin Laden" angekündigt gewesen, später änderten die Veranstalter den Titel. Die Stadt hatte die Veranstaltung zunächst verboten. Das Verwaltungsgericht Frankfurt erlaubte die Predigt jedoch unter strengen Auflagen. Unter anderem durfte der getötete Terroristenchef nicht erwähnt werden.