Schleswig-Holsteins CDU-Chef Christian von Boetticher über schwarze und grüne Energiepolitik und das Verhältnis seines Landes zu Hamburg.

Kiel. Am Freitagabend wurde er von den Delegierten des CDU-Parteitags mit 87,08 Prozent zum Spitzenkandidaten für die schleswig-holsteinische Landtagswahl im kommenden Frühjahr gekürt. Im Abendblatt-Interview skizziert Christian von Boetticher seine Pläne - und attackiert den Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD).

Hamburger Abendblatt: Herr von Boetticher, Sie sind jetzt CDU-Spitzenkandidat. Würden Sie wetten, dass Sie auch Ministerpräsident werden?

Christian von Boetticher: Aber sicher. Ich bin davon überzeugt, dass wir nächstes Jahr mehr als 40 Prozent holen und mit Abstand stärkste Kraft in Schleswig-Holstein werden.

Was wäre Ihr Wetteinsatz?

Boetticher: Als HSV-Fan biete ich mich als Balljunge für das nächste Freundschaftsspiel gegen einen schleswig-holsteinischen Verein an.

Ganz schön mutig. Albig ist ein unbequemerer SPD-Herausforderer als Stegner...

Boetticher: Stegner ist Partei- und Fraktionsvorsitzender und bleibt damit der starke Mann der Nord-SPD. Wir haben es nach wie vor mit der alten Stegner-SPD zu tun.

Sie könnten schon vor der Wahl in die Staatskanzlei einziehen - wenn Peter Harry Carstensen seinen Platz räumt ...

Boetticher: Wir haben einen Ministerpräsidenten, der seine Aufgabe mit großer Freude erfüllt. Ich gehe davon aus, dass Peter Harry Carstensen die gesamte Wahlperiode im Amt bleibt. Die Entscheidung liegt allein bei ihm.

Am Ende läuft es wie im Südwesten, und Schleswig-Holstein bekommt einen grünen Regierungschef ...

Boetticher: Ich sehe bei den Grünen im Norden niemanden, der das Zeug hat, Ministerpräsident zu werden.

CSU-Generalsekretär Dobrindt sieht die Grünen als "politischen Arm von Krawallmachern, Steinewerfern und Brandstiftern". Würden Sie das auch so sagen?

Boetticher: Nein! Die Grünen sind sicherlich schwer auszurechnen. Es gibt Fundamentalisten, aber auch sehr bürgerliche Grüne. Wir gehen nicht so sehr auf Distanz wie die CSU. Wer nachhaltig wählen will, ist jedenfalls bei der Union an der richtigen Stelle.

Die CDU als wahre Grüne?

Boetticher: Natürlich. Denn wir bringen Wirtschaft und Umwelt in Einklang.

Dann sind schwarz-grüne Bündnisse ja geradezu ideal ...

Boetticher: In Schleswig-Holstein haben wir ein gut funktionierendes Bündnis mit der FDP.

Sprechen Sie ruhig über den Bund.

Boetticher: Koalitionen hängen immer von Programmen und Personen ab. Eine Koalition mit Herrn Trittin kann ich mir nicht vorstellen. Die größten inhaltlichen Überschneidungen haben wir nach wie vor mit der FDP ...

... die in einer Existenzkrise steckt.

Boetticher: Da steckten die Grünen vor fünf Jahren auch drin. Die FDP muss sich neu aufstellen. Dann kann sie ihre Krise überwinden.

Wer soll noch weichen?

Boetticher: Dazu hat Wolfgang Kubicki kluge Vorschläge gemacht.

Er will vor allem Birgit Homburger an der Fraktionsspitze loswerden.

Boetticher: Kubicki ist ein kluger Kopf.

Was trennt Union und Grüne noch fundamental?

Boetticher: Die Grünen sind eine reine Großstadtpartei. Sie reden vom Bauernhof, als hätten sie ein Kinderbuch gelesen. Und sie lehnen das Auto fundamental ab.

Sie vergessen die Energiepolitik.

Boetticher: Ich sehe da keinen großen Unterschied mehr.

Wann soll das letzte Atomkraftwerk in Deutschland vom Netz gehen?

Boetticher: So schnell wie möglich. Wir müssen aber darauf achten, dass Energie bezahlbar und die Versorgung sicher bleibt.

Die Grünen peilen 2017 an.

Boetticher: So schnell können erneuerbare Energien die Kernkraft nicht ersetzen - und es wäre falsch, der Kohle zu einer Renaissance zu verhelfen. Windkraft hat eine große Zukunft, und Schleswig-Holstein kann zur Steckdose der Nation werden. Aber dafür müssen wir erst das Stromnetz ausbauen. Das braucht Zeit.

Wo soll das Endlager hin?

Boetticher: Wir sollten die Erkundung von Gorleben zu Ende führen. Das schließt nicht aus, gleichzeitig nach alternativen Standorten zu suchen. Der grüne Ministerpräsident Kretschmann hat Baden-Württemberg angeboten. Wir sollten ihn beim Wort nehmen.

Welche Rolle wird die Bundeswehrreform im schleswig-holsteinischen Landtagswahlkampf spielen?

Boetticher: Das hängt davon ab, was uns der Verteidigungsminister vorlegt. In Schleswig-Holstein haben wir Teile der Bundeswehr, die auch in Zukunft wichtig sein werden: Marine, Pioniereinheiten, Lufttransportgeschwader. Daher sollten unsere Standorte weitgehend erhalten bleiben. Die Bundeswehr ist in Schleswig-Holstein ein Hauptarbeitgeber.

Lässt Minister de Maizière da eher mit sich reden als sein Vorgänger zu Guttenberg?

Boetticher: Ich schätze Thomas de Maizière extrem. Er ist unaufgeregt und unprätentiös. Das ist bei der Bundeswehrreform genauso hilfreich wie bei der Untersuchung der Vorfälle auf der "Gorch Fock" ...

... die am Freitag nach Kiel zurückgekehrt ist. Welche Zukunft hat das Segelschulschiff?

Boetticher: Meine Informationen deuten nicht darauf hin, dass es systematische Verfehlungen gegeben hat. Die Ausbildung auf der "Gorch Fock" muss weitergehen. Wenn sich die Berichte bewahrheiten, hat die politische Führung allen Grund, den suspendierten Kapitän zu rehabilitieren.

Sie haben mehrfach vor der Aussetzung der Wehrpflicht gewarnt. Jetzt finden sich kaum Freiwillige. Fühlen Sie sich bestätigt?

Boetticher: Ja, leider. Die Bundeswehr hat noch kein funktionierendes Konzept, wie man Freiwillige wirbt.

Und nun?

Boetticher: Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder geht die Bundeswehr in ihrem Anforderungsprofil nach unten und nimmt auch Niedrigqualifizierte auf. Das würde die Ausbilder vor erhebliche Herausforderungen stellen. Oder die Bundeswehr wird auch für Leistungsträger attraktiver gemacht, indem beispielsweise der Sold erhöht wird.

Wäre es am besten, zur Wehrpflicht zurückzukehren?

Boetticher: Sicher nicht sofort. Wir sollten die Aussetzung der Wehrpflicht in einigen Jahren auf den Prüfstand stellen. Wir müssen schauen: Funktioniert das Freiwilligenkonzept? Ist das immer noch die Armee, die wir uns wünschen? Wenn die Entwicklung in die falsche Richtung geht, müssen wir eventuell auch über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht nachdenken.

In Hamburg regiert jetzt die SPD. Was bedeutet das für die Zusammenarbeit mit Schleswig-Holstein?

Boetticher: Hamburg ist mehr auf Schleswig-Holstein angewiesen als Schleswig-Holstein auf Hamburg. Wir haben die Gewerbeflächen und könnten Hamburger Unternehmen mit niedrigen Steuern abwerben. Aber darum geht es uns nicht. Wir wünschen uns eine intensive Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern. Hamburg sitzt leider manchmal noch auf dem hohen Ross. Uns kommt es auf gemeinsame Schritte an. Wir sind nicht der arme Verwandte aus der Nachbarschaft. Hamburg muss begreifen, dass es nur gemeinsam geht.

Was erwarten Sie von Olaf Scholz?

Boetticher: Wir brauchen eine gemeinsame Landesplanungsbehörde, gemeinsame Wirtschaftsförderung, gemeinsame IT-Strukturen und ein gemeinsames Beamtenrecht. Erst dann kann man von wirklicher Zusammenarbeit sprechen. Leider zeigt Herr Scholz an der Region wenig Interesse.

Woran machen Sie das fest?

Boetticher: In Schleswig-Holstein wäre es undenkbar, dass ein Ministerpräsident eine Regierungserklärung hält, in der die Zusammenarbeit mit Hamburg nicht vorkommt. 300 000 Menschen leben bei uns und arbeiten in Hamburg. Herr Scholz hat es tatsächlich fertiggebracht, die notwendige Zusammenarbeit mit Schleswig-Holstein bei seiner Antrittsrede nicht einmal zu erwähnen. Je schneller er begreift, dass er über den Tellerrand hinausblicken muss, desto besser ist es auch für Hamburg.