DGB-Chef Sommer sieht aber keinen Anlass für Nostalgie

Berlin. Michael Sommer legt großen Wert auf Unabhängigkeit. Die habe den deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) "in die Lage versetzt, mit den unterschiedlichen Bundesregierungen zusammenzuarbeiten oder uns auch mit denen zu streiten", sagt der 58-Jährige, der gestern in Berlin seine dritte Amtszeit als DGB-Chef antrat. Aber mit Definitionen ist das so eine Sache, und wer genau hinschaut, erkennt, dass sieben Vorsitzende der acht im DGB organisierten Einzelgewerkschaften wie Sommer ein SPD-Parteibuch besitzen.

Die Distanz zu den Sozialdemokraten rührt also eher aus der Zeit der Großen Koalition, als sich die Gewerkschaften mit der SPD im Streit um die Folgen der Agenda 2010 überwarfen. Aus der Zeit, in der der Parteivorsitzende Franz Müntefering hieß. Seine Neigung zur Nostalgie sei gering, pflegt Sommer unsentimental zu sagen, wenn er auf diese Entfremdungsphase angesprochen wird. Und dass er wisse, dass es nie wieder so sein werde wie früher. Und dass der DGB gut daran tue, die gewachsene Unabhängigkeit zu bewahren.

Immerhin ist nicht zu übersehen, dass Gewerkschaften und Sozialdemokraten wieder etwas enger zusammenrücken, seit Union und FDP die Bundestagswahl gewonnen haben. Sichtbarstes Zeichen: Guntram Schneider. Hannelore Kraft berief den nordrhein-westfälischen DGB-Vorsitzenden als Ersten in ihr Schattenkabinett. Michael Sommer hat diese Entscheidung mit den kühlen Worten kommentiert, wenn Schneider als Sozialdemokrat seiner Partei helfen wolle, Wahlen zu gewinnen, und nach einem politischen Amt strebe, dann sei das "seine persönliche Entscheidung". Er wünsche Schneider viel Erfolg, so Sommer damals weiter, allerdings habe er in einem Gespräch mit dem Kollegen auch "sichergestellt, dass er in der heißen Wahlkampfphase nicht öffentlich als DGB-Vorsitzender auftritt".

Egal, ob Sommers Haltung aus Enttäuschung oder Pragmatismus gespeist ist - fest steht, dass ihm nichts daran liegt, alte Feindbilder wieder zu beleben. Im Gegenteil. Auf dem DGB-Kongress hat Sommer gestern nachdrücklich auf sein gutes Verhältnis zur Kanzlerin hingewiesen. "Wir haben eine gemeinsame neue Lebenserfahrung gemacht, die wir lieber nicht hätten", sagte der DGB-Chef. Sie habe aber dazu geführt, dass man vertrauensvoller miteinander umgehe. "Es gibt wieder mehr Kräfte, die auf soziale Balance setzen und den Gewerkschaften dabei eine wichtige Rolle zukommen lassen." Schon vor Wochen hatte Michael Sommer deutlich gemacht, dass er die Bundeskanzlerin jederzeit erreichen könne, wenn das aus seiner Sicht erforderlich sei. Gestern hat er hinzugefügt, dass die Gewerkschaften in diesen schwierigen Zeiten gesuchte Gesprächspartner seien. "Auch für die neue SPD-Spitze."

Dass der Kurs, den Michael Sommer in der Finanz- und Wirtschaftskrise fährt, zurzeit fast unumstritten ist, zeigte sein Wahlergebnis: Mit 94,1 Prozent bestätigten ihn die Delegierten des DGB-Bundeskongresses in seinem Amt. Der Rente mit 67 ("Die ist ein Rentenkürzungsprogramm!") und den Plänen der schwarz-gelben Koalition für eine Kopfpauschale im Gesundheitswesen ("Die ist der Gipfel!") erteilte Sommer anschließend erneut eine scharfe Absage. Die Bundesregierung forderte er auf, den Weg für einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro frei zu machen. "Wir brauchen ein Ende der Subventionen von Mini- und Midijobs, ein Ende der Tarifflucht, ein Austrocknen des Niedriglohnsektors und nicht zuletzt die Stärkung von sicheren, unbefristeten, sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverträgen."

Die Gewerkschaften forderten Arbeitgeber und Politik auf, "endlich gemeinsam mit uns gegenzusteuern". Zum Selbstverständnis der Gewerkschaften meinte Sommer: "Wir sind nicht die Ewiggestrigen, sondern die pragmatischen Utopisten, die den kleinen, aber stetigen Fortschritt organisieren"