Die SPD ist nur zweitstärkste Partei in NRW. Aber niemand kommt an ihr vorbei. Doch es könnte Monate dauern, bis der Machtkampf entschieden ist

Düsseldorf/Berlin. Erst einmal macht Hannelore Kraft in der Berliner SPD-Parteizentrale da weiter, wo sie am Abend zuvor im Düsseldorfer Landtag aufgehört hat. Sie genießt. Parteichef Sigmar Gabriel überreicht Kraft rote Rosen, Kurt Beck umarmt sie herzlich. Kraft lacht - und spricht sich selbstbewusst das Recht der Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen zu. "Wir haben den Auftrag, die Regierung zu bilden", sagt sie. Kraft ist jetzt die mächtigste Frau zwischen Weser und Rhein. Sie könnte in Düsseldorf die erste Ministerpräsidentin werden. Es werde keine Regierung ohne die SPD geben, sagt sie. Damit hat sie recht. Doch es gibt Schattenseiten dieser Macht. Und auch die klingen an diesem Tag in ihrer Stimme mit.

"Es ist keine leichte Aufgabe, die mir die Wählerinnen und Wähler zur Regierungsbildung da hingelegt haben", hatte Kraft zuvor gesagt - und demonstrativ geseufzt, als wäre das auch der offizielle Abschied von ihrer Wunschkoalition. Bereits im Laufe der Wahlnacht hatten die Hochrechnungen Krafts Traum von Rot-Grün korrigiert.

Die Farbenlehre einer möglichen Koalition in Düsseldorf lässt drei Varianten zu: Die CDU wirbt um eine Große Koalition, die SPD für eine Ampelkoalition mit Grünen und Liberalen, der die FDP aber erneut eine Absage erteilte. Noch nicht vom Tisch ist auch ein rot-rot-grünes Bündnis mit den Linken. In jedem Fall spielt Kraft eine Schlüsselrolle. "Das Ergebnis muss dazu führen, dass du Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen wirst", sagte Parteichef Gabriel bekräftigend.

Doch wer sich an Hessen erinnert, weiß, wie lange ein Streit um die Macht dauern kann. Roland Koch war 2008 monatelang geschäftsführend im Amt. Die damalige SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti entschied sich bei ähnlichen Mehrheitsverhältnissen für Rot-Rot-Grün - allerdings in der Variante einer von der Linkspartei tolerierten Minderheitsregierung aus SPD und Grünen. Hannelore Kraft kann von Hessen gut lernen, wie es nicht funktioniert. Der Wiesbadener Landtag löste sich schließlich auf, es gab Neuwahlen. Ypsilanti scheiterte - allerdings nicht an der Linken, sondern an Widerständen in ihrer eigenen Partei. Auch das ist ein Szenario für Nordrhein-Westfalen.

Kraft geht auf Nummer sicher und schließt die Causa Hessen - eine Tolerierung seitens der Linkspartei in einem Land mit 18 Millionen Einwohnern - aus. Dieses Wagnis will sie nicht eingehen. Doch die Frage einer Koalition mit den Linken und den Grünen bleibt auf der politischen Agenda. "Wenn nun in wochenlangen Verhandlungen kein Ergebnis zwischen SPD, CDU und Grünen zustande kommt, wird es Kraft leichter fallen, doch eine Koalition mit den Linken und den Grünen einzugehen", sagte der Politologe Gerd Langguth von der Universität Bonn dem Hamburger Abendblatt.

Und ein rot-rot-grünes Bündnis bleibt auch deshalb Gesprächsthema, weil die CDU weiter davor warnt. "Ich sehe eine gemeinsame Verantwortung, Linksextremisten vor der Regierungsverantwortung auszuschalten", sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe der ARD.

Was nach einem Mahnruf vor Links klingt, ist vor allem ein Aufruf zu einer Großen Koalition in NRW. Es waren am Ende etwas mehr als 6000 Stimmen, die den Ministerpräsidenten Rüttgers in der Wahlnacht zurück ins politische Leben holten. Die Union ist hauchdünn stärkste Partei in NRW geworden. Allerdings ist Rüttgers abhängig von Kraft. Er mahnte, dass Nordrhein-Westfalen jetzt eine "stabile Regierung" brauche - auch das ist ein ganz unverhülltes Angebot für die Große Koalition.

Doch wer so klar ein Ende des "Systems Rüttgers" postuliert wie die SPD, wird sich wohl kaum als Juniorpartner in eine Koalition mit ebendiesem Ministerpräsidenten einlassen. Für Kraft steht fest: Sie will zuerst mit den Grünen reden. Abtauchen in sichere Gewässer. Und laut Grünen-Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann geht es von dort aus weiter in die linke Richtung. Man sei offen für ein Bündnis. Die SPD müsse klären, "ob sie bereit ist, sich von der Linkspartei eben auch wählen zu lassen", sagte Löhrmann. Auch eine Ampelkoalition mit SPD und FDP halte sie sich weiterhin offen.

Ob Ampel, Rot-Rot-Grün oder Große Koalition - am Ende könnte vor allem eines die Machtfrage am Rhein entscheiden: Wer stellt den Ministerpräsidenten - die stärkste Partei oder die gefühlte Siegerin? Spekuliert wird, dass am Ende eine "israelische Lösung" gefunden werden könnte - CDU und SPD würden sich also während der Legislaturperiode im Amt ablösen. Für die ehrgeizige Kraft aber dürfte auch das keine Option sein. Es waren einfach zu viele Blumen in den vergangenen Tagen.