Straßburg. Deutschland muss nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zwei Straftätern in Sicherungsverwahrung Schadenersatz zahlen. Einem im nordhessischen Schwalmstadt untergebrachten Häftling, der 1987 wegen mehrfacher Vergewaltigung verurteilt wurde, sprach der EGMR 7000 Euro für den "erlittenen immateriellen Schaden" zu, einem 1992 wegen mehrfachen Mordes verurteilten Mann in der bayerischen Haftanstalt Straubing 5000 Euro. Die frühere deutsche Praxis der nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung hat nach Auffassung des Gerichts gegen die Menschenrechte verstoßen.

Die Männer sitzen weiterhin hinter Gittern und waren zu acht beziehungsweise 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Sie wurden zunächst wegen verminderter Schuldfähigkeit in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen, wo man ihnen bescheinigte, nicht ausreichend therapiefähig zu sein. Deshalb wurden die Männer ins Gefängnis überstellt, wo sie ihre Strafen absaßen.

Die Diagnose der eingeschränkten Schuldunfähigkeit wurde später revidiert. Danach wurde wegen hoher Gefährlichkeit der Männer die Sicherungsverwahrung angeordnet, obwohl es diese Möglichkeit zum Zeitpunkt der Verurteilung noch nicht gegeben hatte. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe billigte im August 2009 die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und lehnte die Verfassungsbeschwerden der Betroffenen ab. Daraufhin riefen diese das Straßburger Gericht an. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung in beiden Fällen sei ein Verstoß gegen den Grundsatz der Europäischen Menschenrechtskonvention, befand der EGMR nun und stellte fest: "Keine Strafe ohne Gesetz."

Der EGMR hatte bereits zuvor mehrfach Urteile zur deutschen Sicherungsverwahrung gefällt, die kritisch ausgefallen waren. Vor diesem Hintergrund änderte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2011 seine Rechtsprechung und erklärte das Gesetz zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig.

Inzwischen hat die Bundesregierung eine umfassende Reform der Sicherungsverwahrung auf den Weg gebracht. In der kommenden Woche debattiert der Bundestag zum ersten Mal über den Gesetzentwurf.