Berlin. Am Sonntag werden ARD und ZDF um 18 Uhr ihre Prognosen veröffentlichen. Woher kommen die Ergebnisse – und wie gut werden sie sein?

Der 22. September 2013, 17.59 Uhr und 52 Sekunden. ARD-Moderator Jörg Schönenborn kündigt mit den Worten „Halten Sie sich fest“ die Prognose von Infratest dimap für die Bundestagswahl an. Punkt 18 Uhr wachsen die Balken nacheinander in die Höhe. Erst der von CDU/CSU, ziemlich hoch. Dann kommt die SPD, nur gut die Hälfte. Danach die FDP, unter fünf Prozent. Und so weiter. Schon um 18 Uhr weiß die Republik, wer die Bundestagswahl gewonnen hat, welche Koalitionen möglich sind und wer eine Zitterpartie um den Einzug ins Parlament erleben wird.

Am kommenden Sonntag wird es aller Voraussicht nach wieder so sein. Wie gelingt das den Meinungsforschern? Wie können sie die Ergebnisse so präzise errechnen, wenn gleichzeitig erst die Wahllokale schließen und die Wahlhelfer mit den Auszählungen beginnen?

Matthias Jung leitet die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen.
Matthias Jung leitet die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen. © imago stock&people | imago stock&people

Matthias Jung lacht, als er die Frage hört. Wenn man sauber arbeite, folge die Prognose nun mal den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitstheorie, sagt der Vorstand der Forschungsgruppe Wahlen. Jung und seine Mannheimer Demoskopen werden an diesem Sonntag für das ZDF die 18-Uhr-Prognose und die Hochrechnungen erstellen, so wie bei früheren Bundestags- und Landtagswahlen auch. Vor vier Jahren lag Jungs Forschungsgruppe um 18 Uhr ziemlich nah am späteren Endergebnis. Die größte Abweichung gab es mit einem Prozentpunkt bei der Union.

Umfrage unter rund 50.000 Wählern als Basis

Weil es 2013 so gut lief, hält er auch diesmal an der bewährten Methodik fest: Rund 850 Interviewer werden bundesweit im Einsatz sein und zwischen 8 und 17.45 Uhr etwa 50 000 Wähler direkt nach der Stimmabgabe befragen. „Die Repräsentativität entsteht durch die Summe von zufällig ausgewählten Wahlbezirken“, erklärt Jung das Vorgehen. Konkret gehen die Interviewer der Forschungsgruppe auf einzelne Personen zu, die das Wahllokal verlassen haben. Auch hier gilt das Zufallsprinzip. Die Wähler werden gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. Sie sollen nicht nur beantworten, wem sie ihre Stimme gegeben haben, sondern auch Alter, Geschlecht, Bildung und Erwerbsstatus angeben. Faktoren, die für die weiteren Berechnungen eine wichtige Rolle spielen.

Doch diese Daten allein machen noch keine Prognose. Weil in der Regel nicht alle ausgewählten Bürger an der Befragung teilnehmen wollen, müssen die Wahlforscher im Nachgang Ergänzungen und Korrekturen an ihren Ergebnissen vornehmen. „Gewichtungsmodelle“ heißen diese Maßnahmen auf Demoskopendeutsch. Und dann gibt es noch die wachsende Zahl der Briefwähler. Die kann von den Wahlforschern nur geschätzt werden. Die Bundestagswahl ist ein Fest für Mathematiker.

Risiko ist Dunkelziffer bei AfD-Wählern

Sollte am Ende die Prognose auffallende Abweichungen zum späteren Ergebnis produzieren, wäre das für Forschungsgruppe-Vorstand Jung eine Katastrophe. „Bei der Prognose geht eine Abweichung von bis zu einem Prozentpunkt pro Partei im Vergleich zum Wahlergebnis gerade noch so in Ordnung“, gibt er das Ziel vor. Problematischer wäre es für ihn, wenn sein Institut am Wahlabend bei der prognostizierten Sitzverteilung so daneben läge, dass falsche politische Mehrheitsverhältnisse zustande kämen. „Die Prognose soll vor allem die Mehrheitsverhältnisse deutlich machen. Die exakten Prozentzahlen auf die Dezimalstelle genau sind da nicht so entscheidend“, erklärt er.

Doch da gibt es eine Unwägbarkeit, die Jung Bauchschmerzen bereitet: „Das größte Risiko für uns ist die Dunkelziffer der AfD-Wähler.“ Es gebe immer Leute, die an den Befragungen nicht teilnehmen wollen. Daher geht er davon aus, dass es gerade bei AfD-Wählern „eine gewisse Verschweige-Quote“ gibt. Diese Erfahrungen habe man auch früher bei Wählern der NPD, der Republikaner, der DVU oder der Schill-Partei gemacht.

Wahlhelfer brauchen länger als früher

Manfred Güllner ist Forsa-Geschäftsführer.
Manfred Güllner ist Forsa-Geschäftsführer. © imago/Jens Jeske | imago stock&people

Für Forsa-Chef Manfred Güllner ist die AfD „eigentlich“ kein neues Phänomen, „weil es schon immer rechtsradikale Parteien mit gewissen Unschärfen bei der ermittelten Stimmung gab“. Jedoch, so Güllner, habe es 2016 vor den Landtagswahlen kaum Erfahrungen mit der Partei gegeben. Damals, am 13. März, hatten die Institute das AfD-Ergebnis in den Prognosen für alle drei Länder – Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt – jeweils zwei bis drei Prozentpunkte zu niedrig berechnet. Eine Peinlichkeit, aus der die Forschungsgruppe Wahlen Konsequenzen zog: „In den fünf weiteren Landtagswahlen danach haben wir die Dunkelziffer bei der AfD erhöht und lagen damit ziemlich richtig“, berichtet Jung.

An diesem Sonntag ist die Prognose für die Wahlforscher nur der Anfang, nach 18 Uhr kommen die Hochrechnungen. Vor vier Jahren konnte Jungs Forschungsgruppe ihre erste um 18.14 Uhr präsentieren. Hier vermischen sich ausgezählte Stimmen mit den Nachwahlbefragungen, bis gegen 19 Uhr nur noch ausgezählte Stimmen in die Ergebnisse einfließen.

Die erste Hochrechnung sei in der letzten Zeit schwieriger geworden, warnt Jung schon mal vor. Er stellt fest, dass in den Stimmbezirken langsamer ausgezählt wird als früher und die Ergebnisse damit später ankommen: „Möglicherweise arbeiten die Wahlhelfer gründlicher als früher oder sie sind ungeübter“, spekuliert er. Ersteres wäre beruhigender.