Rio de Janeiro. Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten dominierten den ersten Tag des Treffens führender und aufstrebender Wirtschaftsmächte in Rio. Nun geht es um teils veraltete internationale Strukturen.

Die Außenminister der G20-Runde führender und aufstrebender Wirtschaftsmächte wollen über eine Reform internationaler Institutionen diskutieren. Beim Treffen der Gruppe im brasilianischen Rio de Janeiro hatte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gesagt, die Modernisierung der internationalen Finanzinstitutionen gehöre für sie ganz oben auf die Tagesordnung der G20. Die am stärksten von der Klimakrise betroffenen Staaten zahlten die höchsten Zinsen. „Das ist zutiefst ungerecht, und es ist auch wirtschaftspolitisch mehr als kontraproduktiv“, kritisierte Baerbock.

Das Risiko von Naturkatastrophen treibe die Finanzierungskosten insbesondere von Inselstaaten wie Fidschi oder auch der Philippinen ins Unermessliche, sagte Baerbock. „Genau dann können sie nötige finanzielle und wirtschaftliche Investitionen nicht mehr tätigen.“ Deswegen brauche es stärkere und effizientere Entwicklungsbanken, die Klimaschutz in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellten.

Der G20-Runde gehören neben Deutschland, Frankreich und den USA unter anderem auch Russland und China an. Die Gruppe steht für etwa 80 Prozent der weltweiten Wirtschaftskraft und 60 Prozent der Weltbevölkerung. Aktuell hat Brasilien den Vorsitz.

Lulas Ziel: Umbau des internationalen Systems

Ein Umbau des internationalen Systems gehört zu den erklärten Zielen der brasilianischen G20-Präsidentschaft. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hatte zuletzt den UN-Sicherheitsrat als unglaubwürdig kritisiert und den internationalen Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank vorgeworfen, sich zu stark in die inneren Angelegenheiten der Gläubigerländer einzumischen. Lula versteht Brasilien als Sprachrohr des Globalen Südens und will den Schwellenländern mehr Gehör verschaffen.

Baerbock an Lawrow: Beenden Sie jetzt den Krieg

Baerbock wandte sich in der ersten Arbeitssitzung in Rio direkt an ihren russischen Kollegen Sergej Lawrow und verlangte ein Ende des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. „Wenn Ihnen Menschenleben am Herzen liegen, wenn Ihnen Ihr eigenes Volk am Herzen liegt, russische Kinder und Jugendliche, müssen Sie diesen Krieg jetzt beenden“, sagte sie. „Wenn Russland diesen Krieg jetzt beenden würde, wäre morgen der Weg zum Frieden und zur Gerechtigkeit weit offen“, fügte sie hinzu.

Lawrow saß in der G20-Runde rechts von seinem saudi-arabischen Kollegen Prinz Faisal bin Farhan al-Saud und links von der mexikanischen Außenministerin Alicia Bárcena Ibarra platziert. Neben der Mexikanerin saß der Vertreter Italiens, dann kam Baerbock.

An die anderen Mitglieder der Runde gerichtet sagte Baerbock: „Russlands Aggression ist mehr als ein regionaler Konflikt.“ Der russische Angriffskrieg „fordert uns alle auf, die Grundprinzipien, die uns alle schützen, entschlossen zu verteidigen: die Charta der Vereinten Nationen, das Völkerrecht und die Menschenrechte. Diese Prinzipien schützen alle Nationen, egal wie groß oder klein.“

Forderung nach Feuerpause - „Menschlichkeit ist unteilbar“

Vor dem Hintergrund breiter Kritik am militärischen Vorgehen Israels gegen die islamistische Hamas und dem humanitären Leid der Zivilbevölkerung in Gaza forderte Baerbock eine humanitäre Pause, damit man auf einen nachhaltigen Waffenstillstand hinarbeiten könne. Sie forderte ihre Zuhörer auf, den Schmerz auf beiden Seiten zu sehen und zu erkennen, „dass Menschlichkeit unteilbar ist“. Deshalb sei eine Lösung nötig, die es Palästinensern und Israelis ermögliche, friedlich und in Sicherheit Seite an Seite zu leben - in zwei Staaten.

Baerbock reist zur UN

Am Nachmittag reiste die Bundesaußenministerin von Rio aus nach New York weiter. Dort sind zum zweiten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar mehrere Veranstaltungen geplant, an denen Baerbock teilnehmen wollte. In Sitzungen der Generalversammlung und des Weltsicherheitsrats will sie das Wort ergreifen. Auch ein Gespräch mit UN-Generalsekretär António Guterres ist geplant.

Zudem sollte es einen Meinungsaustausch mit der früheren französischen Außenministerin Catherine Colonna geben. Colonna leitet eine unabhängige Gruppe von Experten zur Prüfung der Vorwürfe gegen Mitarbeiter des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Einigen Mitarbeitern des Hilfswerks wird vorgeworfen, an den Terrorakten der islamistischen Hamas vom 7. Oktober in Israel beteiligt gewesen zu sein. Mehrere westliche Länder haben wegen der Anschuldigungen vorübergehend die Zahlungen an UNRWA eingestellt, darunter die beiden größten Geldgeber, die USA und Deutschland.

Baerbock: G20 kann und muss Reformmotor in der UN sein

Außenministerin Annalena Baerbock sieht die G20-Runde führender und aufstrebender Wirtschaftsmächte als wichtigen Reformmotor innerhalb internationaler Institutionen wie den Vereinten Nationen. „Wenn wir die komplexen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bewältigen wollen, dürfen unsere multilateralen Institutionen nicht im vergangenen Jahrhundert stecken bleiben“, sagte die Grünen-Politikerin in einer Debatte der G20-Außenminister über Reformen der internationalen politischen Organisationen und der internationalen Finanzstruktur. „Ich glaube, dass die G20 in diesem Reformprozess eine entscheidende Rolle spielen kann und muss.“

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Die G20-Runde spiegele „die geopolitische Vielfalt der heutigen Welt ziemlich gut wider“, sagte Baerbock. Das mache die Arbeit in dem Format zwar manchmal zu einer Herausforderung. „Aber wenn wir Gemeinsamkeiten untereinander erkennen, können wir ein Motor für Veränderungen sein, auch in Foren wie den Vereinten Nationen“, sagte sie. Baerbock stellte sich damit auch gegen Kritiker, die das G20-Format angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine für überholt halten.

G20-Außenminister werben für Reform internationaler Institutionen

Bei ihrem Treffen sprechen sich die G20-Außenminister nach Angaben der brasilianischen Gastgeber für eine umfassende Reform der wichtigsten internationalen Organisationen aus. „Alle waren sich einig, dass die wichtigsten multilateralen Institutionen wie die UN, die Welthandelsorganisation, die Weltbank und der Internationale Währungsfonds reformiert werden müssen, um den Herausforderungen der heutigen Welt gerecht zu werden“, sagte der brasilianische Außenminister Mauro Vieira zum Abschluss des Treffens in der brasilianischen Küstenmetropole.

Die Vereinten Nationen seien als Organisation für Frieden und Sicherheit unverzichtbar. Allerdings müsse vor allem der Weltsicherheitsrat reformiert werden, beispielsweise durch die Aufnahme neuer ständiger und nicht-ständiger Mitglieder, insbesondere aus Lateinamerika und der Karibik sowie aus Afrika. „Was die multilateralen Entwicklungsbanken und den Internationalen Währungsfonds anbelangt, so herrschte ebenfalls große Einigkeit über die Notwendigkeit, den ärmsten Ländern den Zugang zu Finanzmitteln zu erleichtern und die Vertretung der Entwicklungsländer in den Führungsgremien zu verbessern“, sagte Vieira.