Berlin. Was ist, wenn Trump ins Weiße Haus zurückkehrt? Die Frage steht beim Washington-Besuch des Kanzlers zwar nicht auf der offiziellen Agenda. Sie wird ihn aber auf Schritt und Tritt begleiten.

Es wird eine ziemlich beschwerliche Anreise für Olaf Scholz zu seinem dritten Washington-Besuch als Bundeskanzler. Die einzige derzeit funktionstüchtige „Air Force One“ der Bundeswehr-Flugbereitschaft vom Typ A350 ist derzeit mit dem Bundespräsidenten in der Mongolei unterwegs. Scholz wird am Donnerstag deswegen auf einen deutlich weniger komfortablen und leistungsschwächeren Airbus A321 umsteigen, der die 6700 Kilometer Luftlinie über den Atlantik nicht ohne Tankstopp im isländischen Reykjavik schafft.

Am Ende wird die Flugzeit des Kanzlers hin und zurück fast genauso lang sein wie sein Aufenthalt vor Ort. Rund 24 Stunden hat Scholz in der US-Hauptstadt. Der Höhepunkt kommt erst ganz zum Schluss am Freitagnachmittag: Für das Vier-Augen-Gespräch mit US-Präsident Joe Biden im Oval Office des Weißen Hauses in Washington ist eine Stunde angesetzt. Beim letzten Mal wurden daraus etwa 80 Minuten. Es wird vor allem um die weitere militärische Unterstützung der Ukraine gehen, den Nahost-Konflikt, aber auch um den Nato-Gipfel in Washington im Sommer.

Trump-Szenario wurde lange Zeit abmoderiert

Ein Thema steht nicht auf der offiziellen Agenda des Besuchs: Was ist, wenn Donald Trump dorthin zurückkehrt, wo Scholz am Freitag Biden trifft: ins Weiße Haus? Die Frage wird Scholz in Washington trotzdem auf Schritt und Tritt begleiten.

Lange Zeit wurde das Trump-Szenario seitens der Bundesregierung abmoderiert. Scholz ließ keine Gelegenheit aus, seine Hochachtung vor Biden kundzutun, der so etwas wie sein Lieblings-Staatschef ist. An der Fitness des 81-jährigen Präsidenten für eine zweite Amtszeit ließ er nie Zweifel.

Befürchtungen konzentrieren sich auf Sicherheitsaspekte

Spätestens mit Beginn der Vorwahlen zur US-Präsidentenwahl am 5. November ist die Stimmung in Berlin gekippt. Die Umfragen, die Trump als wahrscheinlichsten Herausforderer Bidens vorn sehen, lassen die Nervosität steigen. Die Warnungen vor einer neuen „Zeitenwende“ im Fall eines Wahlsiegs des Republikaners kommen inzwischen nicht nur aus der Opposition, sondern auch aus dem Regierungslager. „Europas Sicherheit wäre von einem Tag auf den anderen nicht mehr gewährleistet. Die Zukunft der freien und unabhängigen Ukraine wäre in höchster Gefahr“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, kürzlich dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Es gibt wirtschaftliche Aspekte, die Sorge bereiten. Trumps Dauer-Drohung mit Strafzöllen in seinem Kampf gegen den deutschen Exportüberschuss sind aus seiner ersten Amtszeit von 2017 bis 2021 noch in guter Erinnerung. Aber die größten Befürchtungen bestehen im Sicherheitsbereich. Kann Europa noch selbst für seine Sicherheit sorgen, wenn Trump plötzlich die US-Truppen oder die amerikanischen Atomwaffen aus Europa abzieht oder gleich die Nato insgesamt in Frage stellt? Und wo soll die militärische Unterstützung für die Ukraine herkommen, wenn Trump die Versorgung der ukrainischen Streitkräfte aus den USA kappt?

Scholz: „Wir sind nur eine Mittelmacht“

Scholz beschäftigt sich derzeit vor allem mit letzterer Frage. Seine erste außenpolitische Handlung in diesem Jahr war ein eindringlicher Appell an die EU-Partner, militärisch mehr für die Ukraine zu tun. Nach den Berechnungen des Kanzleramts ist Deutschland nach den USA mit Abstand der zweitwichtigste Waffenlieferant der Ukraine und stellt derzeit mehr als die Hälfte der europäischen Beiträge. Die Vorstellung, Deutschland könnte bei einem Ausstieg der USA ziemlich einsam an vorderster Front der Militärhilfe stehen, ist Scholz nicht geheuer. „Es wäre keine gute Nachricht, wenn Deutschland, sollten die USA als Unterstützer wegfallen, am Ende der größte Unterstützer der Ukraine wäre“, sagte er kürzlich in einem "Zeit"-Interview. „Wir sind, wie Helmut Schmidt gesagt hat, nur eine Mittelmacht.“

Auch Europa als Ganzes wäre kaum in der Lage, die US-Hilfen vollständig auszugleichen. Und die Vorstellung, die europäischen Nato-Länder könnten von heute auf morgen alleine für ihre Sicherheit sorgen, wird von Experten einhellig als Illusion eingestuft. Die USA kommen trotz einiger im Zuge des Ukraine-Kriegs erhöhter Militäretats in Europa für mehr als zwei Drittel (68 Prozent) der Militärausgaben des Bündnisses auf.

Deutschland ließ Macron bisher abblitzen

Der französische Präsident Emmanuel Macron dringt seit Jahren auf mehr europäische Souveränität im Sicherheitsbereich - stieß damit in Deutschland aber bisher auf wenig Resonanz. Schon 2020 bot der Franzose den anderen Europäern Gespräche über eine europäische nukleare Abschreckung an. Frankreich und Großbritannien sind die einzigen Nato-Länder, die neben den USA über Atomwaffen verfügen.

Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, meint, es sei nun höchste Zeit, auf das französische Gesprächsangebot einzugehen. Als Grund nennt er die Zweifel, die Trump an der Zuverlässigkeit Amerikas im Nato-Bündnis gesät habe. "In diese Gespräche sollten auch die Briten einbezogen werden", fordert Heusgen. Auch der frühere Grünen-Außenminister Joschka Fischer hat Ende letzten Jahres für eine eigene europäische atomare Abschreckung plädiert.

Scholz lehnt Debatte über europäisches Atom-Bündnis ab

Diese Debatte geht Scholz deutlich zu weit und ziemlich auf die Nerven. „Ich weiß nicht, was diese Diskussion heute soll“, sagte er der „Zeit“. Er halte es für wichtig, die transatlantische Kooperation hochzuhalten. „Deshalb hat meine Regierung entschieden, die nukleare Teilhabe mit den USA und in der Nato fortzusetzen. Das halte ich für den realistischeren Weg.“ Aber was, wenn Trump einseitig aussteigt und die US-Atomwaffen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern abzieht?

Das Vertrauen, dass die Bundesregierung sich ausreichend auf eine neue Ära Trump vorbereitet, ist in der Bevölkerung jedenfalls nicht besonders stark ausgeprägt. In einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sagen 52 Prozent, das sei nicht der Fall. Nur 10 Prozent halten die Vorkehrungen der Regierung für eine Rückkehr Trumps ins Weiße Haus für ausreichend. 15 Prozent meinen, es müssten gar keine Vorbereitungen getroffen werden. 23 Prozent machten keine Angaben.

Treffen mit Trump gar nicht erst erwogen

Scholz wird bei seinem Besuch in Washington versuchen, sich selbst ein Bild davon zu machen, wie das Trump-Lager tickt. Zu einem Dinner gleich nach seiner Ankunft am Donnerstagabend mit Kongressabgeordneten sind auch Vertreter von Trumps Republikanischer Partei eingeladen. Ein Treffen mit Trump selbst wurde aber erst gar nicht in Erwägung gezogen. „Herr Trump hat ja im Moment kein offizielles Amt. Insofern würde auch der formale Aufhänger fehlen“, heißt es in Regierungskreisen.

Nächste Woche gibt es dann eine weitere gute Gelegenheit für Scholz und seine Minister, Tuchfühlung zu den Republikanern aufzunehmen. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz erwartet Konferenzleiter Heusgen wieder etwa 70 Mitglieder des US-Kongresses. „Wir achten sehr darauf, dass das auch über Demokraten und Republikaner möglichst gleich verteilt ist“, sagt er. „Da kann man sich dann eben auch darüber unterhalten: Wie sieht Amerika in einem Jahr aus?“