Washington/Moskau. Die Sorge wächst, dass der russische Angriffskrieg auf andere Staaten übergreifen könnte. Ein Zwischenfall über dem Schwarzen Meer befeuert solche Ängste. Was hat sich dort wirklich abgespielt?

Ein militärischer Zwischenfall zwischen den USA und Russland über dem Schwarzen Meer hat Sorgen vor einer weiteren Eskalation geweckt. Eine unbemannte US-Militärdrohne war nach Angaben des US-Militärs in internationalem Luftraum über dem Schwarzen Meer mit einem russischen Kampfjet kollidiert und danach abgestürzt. Die Amerikaner gaben den Russen die Schuld für den Vorfall, Moskau wies das von sich und erhob seinerseits Vorwürfe gegen Washington.

Die US-Regierung erwägt nun, Bildmaterial von dem Vorfall zu veröffentlichen, um für Aufklärung zu sorgen. Russland wiederum will versuchen, die Trümmer zu bergen, um offenzulegen, was Washington bei der Drohnen-Mission eigentlich vorgehabt habe.

Angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist die Lage besonders angespannt und die Angst groß, dass sich der Krieg ausweiten und auch die USA und Russland in eine direkte militärische Konfrontation geraten könnten. Washington unterstützt die Ukraine im ganz großen Stil mit Waffen und militärischer Ausrüstung, nicht aber mit eigenen Soldaten. Der Ort, an dem die US-Drohne und der russische Kampfjet aufeinandertrafen, liegt in unmittelbarer Nachbarschaft des Kriegsgebietes: Das Schwarze Meer grenzt an Russland und die Ukraine.

Was sagt die US-Regierung zu dem Zwischenfall?

Vom US-Militär hieß es, die amerikanische Drohne vom Typ MQ-9 sei in internationalem Luftraum über dem Schwarzen Meer geflogen, als zwei russische Kampfjets ein Abfangmanöver begonnen hätten. Einer der Kampfjets habe dabei den Propeller der US-Drohne getroffen. Diese sei danach nicht mehr manövrierfähig gewesen. US-Kräfte hätten sie daher ins Meer stürzen lassen müssen. Durch den Crash habe man die Drohne komplett verloren. Die USA beklagten ein „unprofessionelles“, „unsicheres“ und „rücksichtsloses“ Handeln der russischen Piloten. Die beiden Jets hätten sich 30 bis 40 Minuten in der Nähe der Drohne aufgehalten und bereits vor der Kollision Treibstoff über dieser abgelassen, auch seien sie mehrfach direkt vor ihr hergeflogen.

Wie stellt Moskau den Vorfall dar?

Russlands Verteidigungsministerium wies jede Verantwortung für den Absturz von sich. „Die russischen Kampfflugzeuge haben keine Bordwaffen eingesetzt, sind nicht in Kontakt mit dem unbemannten Flugapparat geraten und kehrten sicher zu ihrem Heimatflughafen zurück“, hieß es in einer von der Staatsagentur Tass verbreiteten Mitteilung. Jets vom Typ Su-27 der Luftwaffe seien aufgestiegen, um einen unbekannten Eindringling über dem Schwarzen Meer zu identifizieren. Der Bordfunk sei ausgeschaltet gewesen und die Drohne habe Kurs auf Russlands Grenze genommen, hieß es. Bei einem scharfen Ausweichmanöver habe sie rapide an Höhe verloren und sei abgestürzt.

Der Kreml schob die Schuld für den Absturz Washington zu. „Vielleicht hätten diejenigen, denen es nicht zusteht, dort nicht fliegen sollen, dann wäre alles sauber gewesen“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow.

Was passiert mit den Trümmern der Drohne?

US-Generalstabschef Mark Milley sagte, die abgestürzte Drohne habe vermutlich keinen Wert mehr. Die USA hätten mit Blick auf von der Drohne gesammelte Informationen „wie in solchen Fällen üblich Maßnahmen der Schadensbegrenzung“ ergriffen. Sie befinde sich nun in tiefem Wasser, was die Bergung „für jeden sehr schwierig“ mache. Die USA hätten selbst keine Schiffe vor Ort, aber „viele Verbündete und Freunde in der Region, die bei den Bergungsarbeiten“ helfen würden.

Russland hatte zuvor angekündigt, es wolle die Drohne finden und bergen. Der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, sagte im russischen Staatsfernsehen, zwar betonten die USA immer wieder, dass sie nicht Kriegspartei seien, der Fall zeige aber ihre Beteiligung an den Kampfhandlungen. Die USA dürften russische Bergungsbemühungen wiederum als Provokation verstehen.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte, dass alle Vorfälle, die einen Zusammenstoß der zwei Atommächte provozierten, zu großen Risiken führten. Milley betonte, die Vereinigten Staaten wollten nach dem Vorfall keine Eskalation. „Zwischenfälle kommen vor. Und wir wollen eindeutig keinen bewaffneten Konflikt mit Russland.“

Diplomatische Spannungen

Das US-Außenministerium hatte nach dem Vorfall am Dienstag Russlands Botschafter in Washington, Anatoli Antonow, einbestellt, um ihm über den Unmut der amerikanischen Regierung zu informieren. Antonow erhob dann seinerseits öffentliche Vorwürfe gegen die US-Regierung und beschuldigte sie, Geheimdienstinformationen zu sammeln, „die später vom Kiewer Regime genutzt werden, um unsere Streitkräfte und unser Territorium anzugreifen“.

Russland hatte zu Beginn des Kriegs im Schwarzen Meer einseitig neue Sperrzonen festgelegt und nach eigenen Angaben auch die internationale Gemeinschaft darüber informiert. Die „inakzeptablen Aktionen des US-Militärs in unmittelbarer Nähe zu unseren Grenzen“ gäben Anlass zur Sorge, sagte Antonow. „Wir wissen sehr wohl, für welche Aufgaben solche Aufklärungs- und Kampfdrohnen eingesetzt werden.“

Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, dass auf Bitten Washingtons die Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Lloyd Austin miteinander telefoniert hätten. Austin berichtete ebenfalls von dem Gespräch. Auch US-Generalstabschef Milley sagte, er wolle mit seinem russischen Counterpart sprechen.

Von Drohnen und Abfangmanövern

Die MQ-9-Drohne wird in erster Linie zur Aufklärung genutzt, kann aber auch Präzisionsangriffe durchführen. Sie wird aus der Ferne gesteuert. Das Pentagon wollte zunächst keine genaueren Angaben dazu machen, was genau die Mission der Drohne in diesem Fall gewesen sei und ob sie bewaffnet war oder nicht.

Abfangmanöver haben nicht unbedingt zum Ziel, ein Flugzeug abzudrängen oder zur Landung zu zwingen, sondern dienen oft dazu, um etwa durch Sichtkontakt festzustellen, ob von einem verdächtigen Fluggerät eine Gefahr ausgeht. Kirby betonte, solche Abfangmanöver seien nicht ungewöhnlich. Dieser Fall steche allerdings heraus durch das unsichere und unprofessionelle Vorgehen der russischen Seite.

US-Verteidigungsminister Austin beklagte: „Der gefährliche Vorfall ist Teil eines Musters aggressiven, riskanten und unsicheren Handelns russischer Piloten in internationalem Luftraum.“ Es sei an Russland, seine Militärflugzeuge auf sichere und professionelle Weise zu handhaben, sagte Austin und betonte, die USA würden weiterhin dort fliegen und operieren, wo das internationale Recht das zulasse.

Das US-Militär mahnte, die „aggressiven Handlungen“ der Russen seien gefährlich und könnten zu „unbeabsichtigten Eskalationen“ führen. Auch Kirby mahnte: „Wir wollen nicht, dass dieser Krieg über das hinaus eskaliert, was er dem ukrainischen Volk bereits angetan hat.“