Moskau/Kiew. Für die russische Führung läuft bei den Scheinreferenden in den besetzten Gebieten in der Ukraine alles nach Plan. Dafür sorgt ein Zwischenfall an einer Einberufungsstelle für Aufsehen. Die Entwicklungen im Überblick.

Nach dem Ende der Scheinreferenden in den besetzten Gebieten der Ukraine an diesem Dienstag steht ein rascher Anschluss an Russland bevor.

Nach Angaben der Organisatoren soll in den besetzten Gebieten in der Ost- und Südukraine eine Mindestbeteiligung von 50 Prozent erreicht worden sein. Es sind Scheinreferenden, weil sie ohne Zustimmung der Ukraine, unter Kriegsrecht und nicht nach demokratischen Prinzipien ablaufen. Außerdem gab es Berichte, wonach Menschen zur Abgabe ihrer Stimme gezwungen worden sind.

Der Kreml war bereits zu Beginn der Scheinreferenden am Freitag von einem Ja für einen Beitritt zu Russland ausgegangen. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, Verfahren für eine Aufnahme der Regionen könnten schnell gehen.

Der Kreml räumte angesichts zahlreicher Berichte über Zwangsmaßnahmen und Gewalt bei der Rekrutierung von Reservisten Verstöße bei der Teilmobilmachung ein. In Ostsibirien schoss ein Mann auf den Leiter einer Einberufungsstelle. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) setzt sich für weitere Gespräche über eine Waffenstillstandszone um das ukrainische AKW Saporischschja ein.

Organisatoren: Mindestbeteiligung im Gebiet Cherson erreicht

Nach Angaben der Organisatoren sollen in allen vier von Russland besetzten Gebieten im Osten der Ukraine inzwischen jeweils mehr als die Hälfte der Berechtigten ihre Stimme abgegeben haben. Im südukrainischen Gebiet Cherson soll die Mindestbeteiligung von 50 Prozent erreicht worden sein, wie die Vorsitzende der Wahlkommission, Marina Sacharowa, nach einer Meldung der russischen Staatsagentur Tass mitteilte.

Russland erwartet eine Zustimmung von 80 bis 90 Prozent der Menschen für einen Beitritt zu seinem Staatsgebiet. Die Abstimmungen werden international als Völkerrechtsbruch kritisiert.

Es wird erwartet, dass Russlands Präsident Wladimir Putin die Gebiete bereits am Freitag in die Russische Föderation aufnehmen könnte. Er hatte betont, dass Moskau Attacken der Ukraine auf die Gebiete dann künftig wie Angriffe auf sein eigenes Staatsgebiet behandeln und sich mit allen Mitteln verteidigen werde. Der Westen bereitet neue Sanktionen vor als Reaktion auf die Annexion.

Lage am AKW Saporischschja Thema bei IAEA-Tagung

IAEA-Chef Rafael Grossi sagte am Montag bei der IAEA-Jahrestagung in Wien, er stehe bereit, diese Woche mit Russland und der Ukraine Gespräche über eine Waffenstillstandszone um das ukrainische AKW Saporischschja zu führen. Er mahnte: «Wenn dort etwas passiert, werden wir keine Naturkatastrophe dafür verantwortlich machen können, sondern nur unsere eigene Untätigkeit.» Grossi hatte vorige Woche am Rande der UN-Generalversammlung in New York mit Vertretern Russlands und der Ukraine dazu Verhandlungen aufgenommen. Vertreter beider Länder machten erneut das jeweils andere Land für Angriffe auf Europas größtes Kernkraftwerk verantwortlich.

Kremlsprecher: Noch keine Entscheidung über Ausrufung von Kriegsrecht

Um die Einberufung für den Krieg in der Ukraine zu umgehen, reisten zuletzt Zehntausende Männer fluchtartig aus Russland aus. Zu den Rekrutierungen gibt es Berichte über Zwang und Gewalt. Kremlsprecher Peskow räumte nun nach einer Meldung der Agentur Interfax Verstöße bei der Teilmobilmachung ein. «In der Tat gibt es Fälle, in denen gegen das Dekret verstoßen wird», sagte Peskow demnach. «Wir hoffen, dass das Tempo der Beseitigung zunimmt und dass alle Fehler korrigiert werden.»

Zugleich betonte Peskow, die russische Führung habe bisher keine Entscheidung über die Einführung des Kriegsrechts getroffen: «Dazu gibt es im Augenblick keine Entscheidungen.» Bei einer Einführung des Kriegsrechts dürften wehrfähige Männer Russland nicht mehr verlassen.

Vorfall in Ostsibirien

In Teilen Russlands hatte es zuletzt Widerstand gegen Einberufungen gegeben. In der ostsibirischen Stadt Ust-Ilimsk im Gebiet Irkutsk schoss nun ein Reservist auf den Leiter einer Einberufungsstelle. Dies teilte der Gouverneur der Region, Igor Kobsew, am Montag bei Telegram mit. Der Zustand des «Militärkommissars» sei kritisch, sagte Kobsew. «Die Ärzte kämpfen um sein Leben.» Der 25 Jahre alte Schütze, der zum Kriegsdienst in der Ukraine eingezogen werden sollte, wurde demnach festgenommen. Seit der am vergangenen Mittwoch von Putin angeordneten Teilmobilmachung kommt es landesweit zu zahlreichen Protesten, Festnahmen und Zwischenfällen.

Kremlsprecher: Wahlen in Italien rein interne Angelegenheit

Zur Parlamentswahl in Italien wollte sich Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag nicht eingehender äußern. Diese sei eine «rein interne Angelegenheit». Russland begrüße allerdings alle politischen Kräfte, «die in der Lage sind, den Rahmen des etablierten Mainstreams, der von Hass auf Russland geprägt ist, zu verlassen und mehr Objektivität und Konstruktivität in den Beziehungen zu unserem Land zu zeigen», sagte Peskow nach einer Meldung der Agentur Interfax.

Wahlsiegerin Giorgia Meloni gilt außenpolitisch als prowestlich sowie als Befürworterin der Nato. Sie betont ihre Unterstützung für die von Russland angegriffene Ukraine. Allerdings gehören zu ihrem Bündnis auch Kräfte, die sich russlandfreundlich geäußert hatten. Russland setzt vor allem auf jene Politiker in der EU, die sich für ein Ende der westlichen Sanktionen gegen Moskau einsetzen.