Kiew. In der Ukraine stand für mehrere Stunden ein Atomkraftwerk nach russischem Beschuss im Mittelpunkt. Das Feuer an dem AKW konnte gelöscht werden. Trotz erster Entwarnungen gibt es offenbar weiter große Gefahr.

Die ukrainische Botschafterin in den USA, Oksana Markarowa, sieht nach dem Feuer an Europas größtem Atomkraftwerk in der Ukraine trotz erster Entwarnungen weiter große Gefahr.

"Die Lage ist weiter sehr, sehr riskant", sagte Markarowa dem Nachrichtensender CNN. Auch wenn das System in der Anlage zunächst gesichert sei, sei die Situation insgesamt keineswegs sicher. Die Tatsache, dass die Anlage Ziel militärischer Attacken geworden sei und nun unter russischer Kontrolle stehe, sei eine "große Gefahr".

"Das Ausmaß der Schäden ist bislang unklar", so das Bundesumweltministerium (BMUV) und das Bundesamt für Strahlenschutz auf ihren jeweiligen Webseiten - die informieren fortlaufend über die Gefährdungslage. Alle radiologischen Messwerte an dem Kraftwerk bewegten sich "weiter im normalen Bereich".

"Sollte das BMUV Hinweise haben, dass sich ein radiologischer Notfall mit erheblichen Auswirkungen in der Ukraine ereignet, würde das radiologische Lagezentrum des Bundes im BMUV die Lage bewerten, die Öffentlichkeit informieren und, soweit erforderlich, Verhaltensempfehlungen geben."

Nach der Einnahme des AKW nahe der Großstadt Saporischschja in der Ukraine durch russische Truppen war in der Nacht auf dem Gelände ein Brand ausgebrochen, laut ukrainischem Innenministerium im Gebäude eines Trainingskomplexes. Es wurde am Morgen gelöscht.

"Welt nur knapp einer nuklearen Katastrophe entgangen"

Der ukrainische UN-Botschafter hat Russland "nuklearen Terrorismus" vorgeworfen. "Russland hat vorsätzlich einen bewaffneten Angriff auf den Kernkraftwerksstandort und Aktionen unternommen, die gegen alle internationalen Vereinbarungen innerhalb der Internationale Atomenergiebehörde verstoßen", sagte Serhij Kyslyzja bei einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates in New York. Dies Beweise erneut, dass es sich bei dem Konflikt nicht nur um einen Angriff auf die Ukraine, sondern auch auf Europa, die Menschheit und künftige Generationen handle.

Nach Einschätzung einer Spitzen-Beamtin der US-Regierung hat hingegen nicht die Gefahr einer nuklearen Katastrophe bestanden. "In dieser besonderen Situation bestand nie die Gefahr einer nuklearen Katastrophe. Aber es ist klar, dass die Dinge schnell aus dem Ruder laufen können", sagte die Leiterin der Nationalen Verwaltung für Nukleare Sicherheit der USA, Jill Hruby, dem Sender CNN. Sie betonte: "Es kann sehr schnell zu einer Eskalation kommen, und es ist, um es milde auszudrücken, eine schlechte Idee, rund um ein Atomkraftwerk zu kämpfen."

Es habe bei den Kämpfen am ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja nie die Gefahr einer Kernschmelze bestanden, sagte Hruby weiter. "Das Schlimmste, was in der letzten Nacht passiert ist, war die Übernahme des Kraftwerks und ein Feuer in einem Verwaltungsgebäude." Man verurteile nachdrücklich, dass die russische Armee in der Nähe von Kernkraftwerken kämpfe. Die amerikanische UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield hatte zuvor gesagt, die Welt sei nur knapp einer nuklearen Katastrophe entgangen. Angesprochen auf Thomas-Greenfields Äußerung bemühte sich Hruby, zu betonen, dass sie der Botschafterin nicht widerspreche und betonte, dass Kämpfe um ein Kernkraftwerk generell zu einer nuklearen Katastrophe führen könnten.

"Angriffe auf Atomkraftwerke sind Kriegsverbrechen"

Die Vereinten Nationen haben sich äußerst besorgt gezeigt. "Angriffe auf Atomkraftwerke stehen im Widerspruch zum humanitären Völkerrecht", sagte die UN-Beauftragte für politische Angelegenheiten, Rosemary DiCarlo. Sie bekräftigte erneut, dass Russlands Krieg in der Ukraine gegen die UN-Charta verstoße. "Die Kämpfe in der Ukraine müssen aufhören, und zwar jetzt."

Ratsmitglied Norwegen, das das Treffen zusammen mit einer Reihe westlicher Staaten beantragt hatte, teilte mit: "Bewaffnete Angriffe auf friedliche Nuklearanlagen sind eine Verletzung des Völkerrechts."

Die US-Botschaft für die Ukraine hat im Zusammenhang mit dem AKW-Brand von einem "Kriegsverbrechen" gesprochen. "Mit dem Beschuss des größten europäischen Kernkraftwerks geht Putins Schreckensherrschaft noch einen Schritt weiter", teilte die Botschaft auf ihrem Twitter-Account mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin mit. "Es ist ein Kriegsverbrechen, ein Atomkraftwerk anzugreifen."

Auch Großbritannien und Frankreich gehen von einem vorsätzlichen Angriff russischer Truppen auf das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja aus. "Dies ist das erste Mal, dass ein Staat ein (mit Brennstäben) bestücktes und funktionierendes Atomkraftwerk angegriffen hat. Und es ist eindeutig durch das Völkerrecht und die Genfer Konventionen verboten", sagte die britische UN-Botschafterin Barbara Woodward. Der französische UN-Botschafter Nicolas de Rivière sagte, der Vorfall "impliziert einen Angriff" auf das Atomkraftwerk.

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