Naypyidaw. Es wird ernst für Aung San Suu Kyi: Ein Gericht in Myanmar spricht sie in zwei Anklagepunkten schuldig. Aber dies ist erst der Anfang - insgesamt drohen der Politikerin Jahrzehnte in Haft.

Myanmars entmachtete Regierungschefin Aung San Suu Kyi muss für mindestens zwei Jahre in Haft. Ein Sondergericht sprach Suu Kyi in zwei Anklagepunkten schuldig.

Konkret gehe es um die Vorwürfe der Anstiftung zum Aufruhr und der Verletzung von Corona-Maßnahmen, sagten mit dem Verfahren vertraute Personen am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Die Justiz wirft der 76-Jährigen weitere Vergehen vor, darunter Verstöße gegen die Außenhandelsgesetze und Korruption. Wann die Urteile dazu fallen sollen, ist noch unklar. Insgesamt drohen Suu Kyi Experten zufolge bis zu 100 Jahre Haft.

Strafmaß verkürzt

Das Gericht setzte zunächst vier Jahre Haft an. Wenige Stunden nach den Urteilen gab die Militärjunta bekannt, das Strafmaß auf zwei Jahre verkürzen zu wollen. Dies berichteten staatliche Medien unter Berufung auf die Generäle. Zudem dürfe die Friedensnobelpreisträgerin im Hausarrest - in dem sie sich seit dem Putsch Anfang Februar befindet - verbleiben und müsse nicht ins Gefängnis, hieß es.

Der Prozess findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt - auch Journalisten sind im Gericht in der Hauptstadt Naypyidaw nicht zugelassen. Suu Kyis Anwälten war Mitte Oktober ein Redeverbot erteilt und jede Kommunikation mit Medien, Diplomaten und ausländischen Regierungen untersagt worden.

Angeblich Verstoß gegen Corona-Regeln

Eines der Urteile bezieht sich auf den Wahlkampf im vergangenen Jahr, als Suu Kyi ihren Anhängern zugewunken hatte. Obwohl sie dabei eine Maske und ein Gesichtsvisier trug, wurde dies vom Gericht als Verstoß gegen die Corona-Regeln gewertet. Im zweiten Urteil geht es um eine Mitteilung ihrer Partei nach dem Putsch, in der die Bürger aufgerufen wurden, sich gegen den Umsturz zu wehren. Zu diesem Zeitpunkt befand Suu Kyi sich aber bereits im Hausarrest.

Die EU verurteilte das Urteil als "politisch motiviert" und als "einen weiteren schweren Rückschlag für die Demokratie in Myanmar". Das Vorgehen der Militärs zeuge von einer völligen Missachtung des Willens des Volkes, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell im Namen der Mitgliedstaaten. Auch die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, sprach von einem politisch motivierten Prozess. Das Militär instrumentalisiere die Gerichte, um die politische Opposition zu entfernen, teilte sie in Genf mit. Das werde die Fronten nur noch verhärten.

Affront gegen Demokratie

US-Außenminister Antony Blinken nannte das Urteil "einen weiteren Affront gegen Demokratie und Gerechtigkeit" in Myanmar. "Wir fordern das Regime auf, Aung San Suu Kyi und alle zu Unrecht inhaftierten Personen, einschließlich anderer demokratisch gewählter Amtsträger, freizulassen", so Blinken.

Wie Suu Kyi auf die Urteile reagierte, wurde nicht bekannt. Außer wenigen Aufnahmen aus dem Gerichtssaal aus den vergangenen Monaten wurde sie seit dem Umsturz nicht mehr öffentlich gesehen. Menschenrechtsexperten sprechen schon lange von einem Schauprozess, um die beliebte Politikerin langfristig zum Schweigen zu bringen.

Reaktionen von Menschenrechtlern ließen nicht lange auf sich warten. "Dieser Prozess war vom ersten Tag an zu 100 Prozent politisch motiviert und hatte die klare Absicht, Suu Kyi für immer wegzusperren, damit sie nie wieder die Militärherrschaft anfechten kann", sagte Phil Robertson, stellvertretender Direktor von Human Rights Watch in Asien, der dpa.

Amnesty: fingierte Anschuldigungen

Ming Yu Hah, stellvertretende Regionaldirektorin bei Amnesty International Südostasien und Pazifik, betonte: "Die harten Urteile, die gegen Aung San Suu Kyi wegen dieser fingierten Anschuldigungen verhängt wurden, sind das jüngste Beispiel für die Entschlossenheit des Militärs, jede Opposition auszuschalten und die Freiheiten in Myanmar zu ersticken." Das Urteil sei "lächerlich", so die Expertin.

Seit dem Umsturz versinkt das südostasiatische Krisenland im Chaos. Die Junta unterdrückt jeden Widerstand mit brutaler Gewalt. Bei Protesten gegen die neuen Machthaber sind nach Angaben der Gefangenenhilfsorganisation AAPP bereits mehr als 1300 Menschen getötet und rund 10.000 festgenommen worden.

Auch Ex-Präsident verurteilt

Die Verfahren gegen Suu Kyi und den entmachteten Präsidenten Win Myint hatten im Juni begonnen, waren aber wegen der Corona-Pandemie zeitweise unterbrochen worden. Win Myint (70) wurde am Montag wegen der gleichen Vorwürfe ebenfalls zu vier Jahren Haft verurteilt. Auch sein Strafmaß wurde von der Junta auf zwei Jahre verkürzt.

Suu Kyi hatte bereits in der Vergangenheit insgesamt 15 Jahre unter Hausarrest gestanden. Seit 2016 war sie faktische Regierungschefin. Sie ist beim Volk sehr beliebt und hatte sich bei der Parlamentswahl im November mit klarem Vorsprung eine zweite Amtszeit gesichert. Beobachter glauben, dass sie den Generälen, die das frühere Birma Jahrzehnte lang mit eiserner Faust regiert hatten, zu gefährlich geworden war. Die Junta begründete den Putsch hingegen mit angeblichem Wahlbetrug - Beweise dafür gibt es aber nicht.

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