Warschau/Brusgi/Tallinn. Wie geht es weiter für die Tausende Migranten, die an der Grenze von Belarus zu Polen ausharren? Polens Regierung bietet an, für ihre Rückreise in die Heimat zu zahlen.

In der Krise um die Migranten an der Grenze zwischen Polen und Belarus hat sich die polnische Regierung überraschend bereiterklärt, für die Rückführung der Flüchtlinge aufzukommen.

"Wir sind jeden Moment in der Lage, die Rückkehr der Migranten in ihrer Herkunftsländern zu finanzieren, wir haben auch eine Menge diplomatischer Aktivitäten im Irak und in anderen Ländern des Nahen Ostens entwickelt", sagte Regierungschef Mateusz Morawiecki am Sonntag nach seinem Treffen mit Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas. Minsk hatte bereits angedeutet, Migranten zurückzubringen.

Unterdessen wächst in Belarus die Sorge vor Krankheitsfällen in einer Notunterkunft für Migranten in Brusgi an der Grenze zu Polen. Nach Schätzungen sind dort etwa 2000 Menschen untergebracht. Ein Vertreter der Weltgesundheitsorganisation WHO bezeichnete die Lage nach einem Besuch als schwierig.

Migranten kamen mit Touristenvisa nach Belarus

Die Europäische Union beschuldigt den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, in organisierter Form Migranten aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen, um Druck auf den Westen auszuüben. Die Menschen aus dem Irak, aus Syrien und Afghanistan sind über Touristenvisa in Belarus eingereist.

Morawiecki besuchte die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland, um sich mit den Regierungschefs dieser Länder über die Situation auszutauschen. In Tallinn sagte er, Polen erwäge zudem, weitere Grenzübergänge zu Belarus zu schließen, um damit den ökonomischen Druck auf den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko zu erhöhen. Polen hatte bereits vor zwei Wochen den Grenzübergang Kuznica geschlossen. "Wir gehen davon aus, dass der Druck auf die Grenze anhält, weil Lukaschenko sein Ziel nicht erreicht hat", sagte Estlands Regierungschefin Kaja Kallas. Der lettische Ministerpräsident Arturs Krisjanis Karins sagte, eine Rückführung der Migranten aus Belarus in ihre Herkunftsländer sei die einzige Lösung der aktuellen Situation. Dies könnte über die Vereinten Nationen erfolgen.

In einer am Sonntag auf Englisch veröffentlichten Videobotschaft warnte Morawiecki, die Ereignisse an der polnisch-belarussischen Grenze seien keine "gewöhnliche Migrationskrise", sondern eine politische Krise, die zu einem speziellen Zweck ausgelöst worden sei. "Ihr Ziel ist die Destabilisierung Europas zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges vor 30 Jahren." Seine litauische Amtskollegin Ingrida Simonyte sagte nach der Begegnung mit Morawiecki, Polen trage die größte Belastung einer hybriden Attacke an der Ostgrenze der EU.

Nach Angaben des polnischen Grenzschutzes versuchen weiterhin größere Gruppen von Migranten vergeblich, die Grenze zu überqueren. Am Samstag kurz vor Mitternacht hätten belarussische Sicherheitskräfte in der Nähe der Ortschaft Czeremsza rund 100 Migranten mit einem Lastwagen an die Grenze gefahren und einen Holzsteg über den Stacheldrahtverhau geworfen, teilten die Grenzer am Sonntag mit. Insgesamt registrierte der Grenzschutz 208 Versuche einer illegalen Grenzüberquerung. Da Polen keine Journalisten in das Gebiet lässt, lassen sich die Angaben nicht überprüfen.

Migranten, die es nicht über die Grenze nach Polen geschafft hatten und von Belarus in den Irak heimgeflogen wurden, berichteten nach ihrer Ankunft von Misshandlungen. Menschen seien von polnischen und belarussischen Polizisten geschlagen und gefoltert worden, sagten Betroffene aus den irakischen Kurdengebieten der Deutschen Presse-Agentur am Samstag. Ein 38-Jähriger aus Dohuk berichtete, er habe weder Wasser noch Essen bekommen und sei gewaltsam aus Belarus abgeschoben worden. Doch er wolle es erneut versuchen, nach Europa zu gelangen.

WHO besorgt um Gesundheitszustand von Migranten

Derweil gibt es vermehrte Sorge um den Gesundheitszustand von etwa 2000 Flüchtlingen, die Belarus in einer Logistikhalle untergebracht hat. Die Situation an der Grenze könne als schwierig bezeichnet werden, sagte Gerald Rockenschaub von der WHO nach einem Besuch dort, wie die belarussische Staatsagentur Belta meldete.

Etwa 100 Migranten seien bereits in Krankenhäuser in der nahe gelegenen Stadt Grodno gebracht worden, sagte die Leiterin der lokalen Gesundheitsbehörden. Ein Patient sei mit einer durch das Coronavirus verursachten Lungenentzündung in ernstem Zustand, zitierte die russische Staatsagentur Ria Nowosti die Expertin. Einige würden wegen Unterkühlung, Erkältung oder Lungenentzündung behandelt.

Nun liefen Gespräche, wie die WHO helfen könne, sagte Rockenschaub. Er verwies auf Medikamente, medizinisches Material oder Infrastruktur. Migranten hätten über ihren Gesundheitszustand geklagt, einige hätten chronische Krankheiten. "Zu allererst brauchen die Menschen eine Perspektive für die Zukunft", sagte er laut Belta.

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