Kabul. Viel Zeit bleibt nicht mehr bis zum geplanten vollständigen Abzug der US-Streitkräfte aus Afghanistan. Die internationale Gemeinschaft will über eine mögliche UN-Sicherheitszone in Kabul beraten.

Die militärische Evakuierungsmission vom Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul geht unter extrem gefährlichen Bedingungen in ihre Endphase.

Gleichzeitig laufen internationale Bemühungen weiter, auch nach dem bis Dienstag geplanten vollständigen Abzug der US-Streitkräfte Menschen eine sichere Ausreise aus Afghanistan ermöglichen zu können. In Kabul spitzt sich derweil auch der Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu.

Mögliche UN-Sicherheitszone

Am Montag wollen UN-Generalsekretär António Guterres und die Vertreter der ständigen Sicherheitsrats-Mitglieder über eine mögliche UN-Sicherheitszone in Kabul sprechen. Frankreich und Großbritannien wollen das im UN-Sicherheitsrat durchsetzen. "Unser Resolutionsentwurf zielt darauf ab, eine Sicherheitszone in Kabul zu definieren, die eine Fortsetzung der humanitären Operationen ermöglicht", sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron der Zeitung "Le Journal du Dimanche". US-Außenminister Antony Blinken will den weiteren Umgang mit Afghanistan unter anderem mit Vertretern Deutschlands, Katars, der Türkei und der EU besprechen.

Maas besucht Nachbarstaaten

Bundesaußenminister Heiko Maas zeigte sich am Sonntag während eines Besuchs im türkischen Antalya offen für den französischen Vorschlag. Ob das dann die Vereinten Nationen oder einzelne Länder mit "Kommunikationskanälen" zu den militant-islamistischen Taliban machen sollten, "muss man sehen", sagte Maas nach einem Gespräch mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Maas wollte seine Reise am Montag in Usbekistan fortsetzen. Er besucht insgesamt fünf Länder, die eine Rolle bei weiteren Bemühungen um die Ausreise Schutzsuchender spielen.

Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul begrüßte den Vorschlag. "Die französische Forderung nach einer UN-Schutzzone sollte durch Deutschland unterstützt werden", sagte der CDU-Außenpolitiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Montag). "Die Weltgemeinschaft ist aufgerufen, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Russland und China sind aufgerufen, die Initiative zu unterstützen."

Gespräche zwischen USA und China

In einer am Sonntag veröffentlichten Erklärung von mehr als 20 Ländern - darunter die USA und Deutschland - hieß es, man habe von den Taliban Zusicherungen erhalten, dass "alle ausländischen Staatsangehörigen und alle afghanischen Staatsbürger mit einer Reisegenehmigung aus unseren Ländern sicher und geordnet zu Abflugorten sowie aus dem Land reisen dürfen".

US-Außenminister Anthony Blinken telefonierte nach Angaben seines Ministeriums am Sonntag mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi. Es sei darum gegangen, die Taliban für ihre Zusagen für das sichere Reisen von Afghanen und anderen Staatsangehörigen zur Verantwortung zu ziehen.

US-Drohnenangriff mit Dutzenden Toten

Unterdessen griff das US-Militär am Sonntag nach eigenen Angaben mit einer Drohne ein Auto des örtlichen IS-Ablegers in Kabul an. Nach dem Anschlag vom Donnerstag mit Dutzenden Toten wurde damit möglicherweise ein weiterer schwerer Terrorangriff verhindert. Es habe nach dem Luftangriff eine "bedeutende sekundäre Explosion" gegeben, teilte das US-Zentralkommando mit. Das lasse vermuten, dass das angegriffene Fahrzeug wohl eine große Menge Sprengstoff geladen hatte, teilte Sprecher Bill Urban mit. Eine "unmittelbare Bedrohung" für den Flughafen sei beseitigt worden. US-Präsident Joe Biden warnte, dass die Lage in Kabul "extrem gefährlich" bleibe.

Das US-Militär prüft nach dem Luftangriff auf das Auto Berichte über mögliche zivile Opfer. Der Einsatz habe erfolgreich eine "unmittelbare Bedrohung" für den Flughafen Kabul durch die Terroristen abgewendet, darüber hinaus würden die Ergebnisse des Luftschlags noch geprüft, hieß es am Sonntagabend (Ortszeit) in einer Stellungnahme der US-Kommandozentrale für die Region (Centcom). In dem zerstörten Fahrzeug habe sich "eine große Menge Sprengstoff" befunden, "die womöglich zu weiteren Opfern führte", hieß es. "Es ist nicht klar, was passiert sein könnte und wir untersuchen das weiterhin. Wir wären sehr traurig über den möglichen Tod Unschuldiger", hieß es in der Stellungnahme des Militärs weiter.

Augenzeugen: Kinder unter Opfern

Der lokale Fernsehsender ArianaNews berichtete unter Berufung auf Augenzeugen, dass sechs Menschen, darunter vier Kinder, beim Einschlag einer Mörsergranate in einem Kabuler Privathaus nahe des Flughafens getötet worden seien. Es war nicht klar, ob diese Opfer möglicherweise nicht einer Mörsergranate, sondern dem US-Luftangriff zuzurechnen gewesen seien.

Die Bedrohung durch Anschläge am Flughafen ist weiter sehr hoch. Am Donnerstag hatte sich dort laut US-Angaben ein Attentäter der IS-Terrormiliz an einem Tor in die Luft gesprengte. Bei dem Anschlag wurden Dutzende getötet, darunter auch 13 US-Soldaten. Das US-Militär hatte zunächst mit einem Drohnenangriff in der Provinz Nangarhar reagiert und nach eigenen Angaben zwei ranghohe Vertreter des IS-Ablegers getötet.

114.000 Menschen evakuiert

Die Bundeswehr hatte ihren Evakuierungseinsatz am Donnerstag beendet, Frankreich, Spanien und Großbritannien folgten am Freitag und Samstag. Die USA wollen noch bis Dienstag Menschen aus dem Land bringen. Seit Mitte August sind nach Angaben des Weißen Hauses gut 114.000 Menschen aus Afghanistan ausgeflogen worden.

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