Barcelona. Die Separatisten in Katalonien haben ihre Mehrheit bei der Wahl am Sonntag sogar noch ausbauen können. Der ersehnten Unabhängigkeit von Spanien sind sie damit aber nicht unbedingt nähergekommen.

Am Wahlabend schien es in Barcelona fast nur Sieger zu geben. Die separatistischen Parteien feierten nicht nur den Ausbau ihrer Parlamentsmehrheit von 70 auf 74 Sitze.

Für fast noch mehr Überschwang sorgte, dass die insgesamt vier Parteien auch erstmals mehr als 50 Prozent der Stimmen erhielten. Laura Borràs von JungsxCat sprach am Sonntagabend von einem "großartigen Sieg". Damit könnte sich die jahrelange Konfrontation mit Madrid fortsetzen, bei der keine der beiden Seiten bisher zu echten Zugeständnissen bereit ist.

Aber auch die in Madrid regierenden pro-spanischen Sozialisten erklärten sich zum Wahlsieger, immerhin konnten sie die Zahl ihrer Sitze im Regionalparlament in Barcelona von 17 auf 33 fast verdoppeln und wurden nach Stimmen sogar stärkste Einzelkraft. Und die rechtspopulistische Vox schaffte es aus dem Stand auf den vierten Platz (11 Sitze). Als Verlierer könnten sich indes all jene erweisen, die auf eine Entspannung im Streit um die Unabhängigkeit hofften.

Die Wahlbeteiligung war wegen der Corona-Pandemie sehr niedrig. Nur etwa 53 Prozent der 5,6 Millionen Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Das dürfte eher den Separatisten zugute gekommen sein, deren Wählerschaft traditionell motivierter als die pro-spanische Wählerschaft ist. Umfragen zur Unabhängigkeit ergeben meist nur Werte unter 50 Prozent für eine Abspaltung.

Im Lager der Separatisten überholte die linke ERC (33 Sitze) erstmals die liberal-konservative JuntsxCat (32 Sitze). Die ERC hatte die vergangene Legislaturperiode noch als Juniorpartner in einer Minderheitsregierung mit JuntsxCat regiert. Nun erhebt ihr Spitzenkandidat Pere Aragonès Anspruch auf das langersehnte Amt des Regierungschefs. Borràs zeigte sich dafür offen. Ihre Partei habe "überhaupt kein Problem" damit, Aragonès bei einer Wahl zum Regierungschef zu unterstützen, sagte sie am Montag im Fernsehsender TV3. Beide würden dann noch wie bisher die Unterstützung der kleineren stramm linken CUP (9 Sitze) benötigen.

Wirklich interessant wird es, wenn es an das Kleingedruckte einer Koalitionsvereinbarung geht. Linke und liberal-konservative Positionen passen auch in Katalonien nicht unbedingt zueinander. Ob das Streben nach Unabhängigkeit als Kitt ausreicht, ist noch nicht ausgemacht. Die schlechten Beziehungen zwischen beiden Parteien in der abgelaufenen Legislaturperiode ließen kaum Optimismus aufkommen, kommentierte die Zeitung "La Vanguardia" am Montag und schloss eine Neuwahl in naher Zukunft nicht aus.

Sollten die Gespräche zwischen den Separatisten in eine Sackgasse geraten, dann könnte die Stunde des sozialistischen Spitzenkandidaten Salvador Illa gekommen sein. Der Sozialist zeigte sich offen für Gespräche mit allen Parteien, außer mit Vox. Das gute Abschneiden von ERC, die für einen moderateren Unabhängigkeitskurs steht, und der gesprächsbereiten Sozialisten wertete die Zeitung "El Periódico" als Ausdruck des Wählerwunsches nach einem Kompromiss. "Das Wahlergebnis schafft eine Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen sollte", kommentierte die Zeitung. Allerdings haben alle separatistischen Parteien eine Vereinbarung unterzeichnet, auf keinen Fall mit Illa zu paktieren.

Rechts von der Mitte erlitt Spaniens größte Oppositionspartei, die konservative Volkspartei, eine herbe Niederlage. Sie landete mit nur noch 3,8 Prozent und 3 Sitzen auf dem letzten Platz. Einen Absturz erlitt die liberale Ciudadanos-Partei, die nach einem Rechtsschwenk 30 ihrer bisher 36 Sitze einbüßte.

Den neun zu langen Haftstrafen verurteilten Separatistenführern der spanischen Konfliktregion Katalonien soll allerdings der Freigang wieder entzogen werden. Das beantragte die Staatsanwaltschaft am Montag nur einen Tag nach dem Sieg der Separatisten bei der Regionalwahl laut spanischen Medien.

Der frühere katalanische Vizeregionalchef und ERC-Chef Oriol Junqueras und acht Mitangeklagte waren 2019 wegen ihrer Rolle beim zwei Jahre zuvor gescheiterten Versuch der Abspaltung der Region von Spanien schuldig gesprochen worden. Es gab Haftstrafen von bis zu 13 Jahren. Die Inhaftierung empört viele Katalanen und bestärkt sie in ihrer Überzeugung, dass keine Verhandlungslösung mit Spanien möglich sei.

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