Genf/Naypyidaw. Neue Massenproteste gegen den Militärputsch in Myanmar, neue Verurteilungen der Gewalt im UN-Menschenrechtsrat. Die Junta verhaftet aber weiter und lässt Gefangene frei.

In Myanmar haben gut zehn Tage nach dem Militärputsch wieder Zehntausende Menschen Drohungen des Militärs ignoriert und auf den Straßen gegen die Machtübernahme protestiert.

Dabei soll die Polizei Menschen auch mit Gewalt auseinandergetrieben haben, wie auf Videos in sozialen Netzwerken zu sehen war. Allein in der größten Stadt Rangun (Yangon) hätten nach Schätzungen mehr als 100.000 Menschen an Kundgebungen teilgenommen, berichtete das Nachrichtenportal "Frontier Myanmar". Vielerorts seien Teilnehmer der Proteste festgenommen worden.

Das UN-Menschenrechtsbüro verfolgt das Schicksal von 350 festgenommenen Politikern und Aktivisten, Journalisten, Mönchen und Studenten, wie die Vize-Hochkommissarin für Menschenrechte, Nada Al-Nashif bei der Sondersitzung des UN-Menschenrechtsrats in Genf sagte. Unter den Festgenommenen ist auch Aung San Suu Kyi, die die zivile Regierung vorher geleitet hatte.

Die meisten Redner verurteilten den Putsch. Der deutsche Botschafter Michael Freiherr von Ungern-Sternberg verlangte, dass die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden. Der Vertreter Chinas sprach dagegen von einer "inneren Angelegenheit" Myanmars. Der Menschenrechtsrat solle lieber Dialogbemühungen im Land unterstützen, als die Konflikte zu schüren.

Das Militär hatte in dem buddhistischen Vielvölkerstaat Anfang vergangener Woche die zivile Regierung unter der Leitung der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi gestürzt. Die Armee behauptet ohne Beweise, dass bei den Wahlen im November, bei denen Suu Kyis Partei erneut haushoch gewonnen hatte, geschummelt wurde. Das rohstoffreiche Nachbarland Thailands war bis 2011 Jahrzehnte lang eine Militärdiktatur, ehe die Generäle die Uniformen ablegten und den Übergang zu einer zivilen Regierung einleiteten. Sie behielten aber entscheidende Machtbefugnisse.

Al-Nashif würdigte den Mut der Demonstranten. "Sie repräsentieren Myanmars Zukunft", sagte sie. "Eine Zukunft mit Gerechtigkeit, fair verteiltem Volksvermögen und harmonischen Beziehungen zwischen den Völkern und Gemeinschaften." Sie befürwortete Sanktionen gegen Putschführer, rief andere Staaten aber auf sicherzustellen, dass Strafmaßnahmen nicht zu Lasten der Zivilbevölkerung gehen. Die humanitäre Hilfe müsse weitergehen.

Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen äußerten Sorge, dass ihre Bemühungen, die Corona-Pandemie einzudämmen, zunichte gemacht werden und die Not der Menschen verschärft wird. "Reporter ohne Grenzen" kritisierte Einschüchterungen von Journalisten. "Das Militär muss verstehen, dass eine Rückkehr zu Zensur und Unterdrückung nicht in Frage kommt", sagte Geschäftsführer Christian Mihr.

In Rangun protestierten mehrere Hundert Menschen vor der russischen Botschaft. Vorausgegangen waren Proteste vor der chinesischen Botschaft. Beide Länder hatten vergangene Woche im UN-Sicherheitsrat eine direkte Verurteilung des Militärs verhindert. Sie wollten auch nicht, dass das Geschehen als "Putsch" bezeichnet wird.

Unterdessen hat die Militärjunta mehr als 23.000 Gefangene aus der Haft entlassen oder deren Strafen deutlich verkürzt. Auch 55 im Gefängnis sitzende Ausländer sollten freigelassen werden, schrieb die Zeitung "The Irrawaddy". Unter den Begnadigten soll nach unbestätigten Berichten der prominente buddhistische Hassprediger Wirathu, ein Kritiker von Suu Kyi, sein. Wirathu gilt als Kopf einer ultranationalistischen Bewegung, die Stimmung gegen Muslime macht. Die Justizbehörden hatten ihm "Aufruhr" vorgeworfen.

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