Brüssel. Der letzte EU-Gipfel des Jahres hat schwierige Entscheidungen auf der Tagesordnung. Die erste wichtige Einigung ist gelungen - auch ein Erfolg für Angela Merkel.

Der EU-Haushaltsstreit mit Polen und Ungarn ist überwunden. Der Weg für das 1,8 Billionen schwere Finanzpaket für die nächsten Jahre und auch Corona-Milliardenhilfen ist frei.

Den Durchbruch brachte ein von Deutschland vermittelter Kompromiss, den alle Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel in Brüssel billigten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kann damit kurz vor Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft einen Erfolg verbuchen. Das Echo war überwiegend positiv.

Ungarn und Polen hatten das Haushaltspaket für die nächsten sieben Jahre einschließlich 750 Milliarden Euro an Corona-Hilfen blockiert, weil sie mit einem neuen Rechtsstaats-Mechanismus nicht einverstanden waren. Doch warten die von der Pandemie hart getroffenen EU-Staaten dringend auf das Geld. Der Gemeinschaft drohte ein ernster Dauerkonflikt. Nun können die Hilfen fließen, sofern das Europaparlament zustimmt. Auch ein Nothaushalt 2021 bleibt der EU voraussichtlich erspart.

"Wir können jetzt mit der Umsetzung beginnen und unsere Volkswirtschaften wieder aufbauen", schrieb EU-Ratschef Charles Michel auf Twitter. "Unser beispielloses Wiederaufbaupaket wird unsere grünen und digitalen Wandel vorantreiben." Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gratulierte der deutschen Ratspräsidentschaft. "Europa geht voran", schrieb sie auf Twitter.

Merkel hatte zum Gipfelauftakt gesagt, eine Einigung wäre ein sehr wichtiges Zeichen für die Handlungsfähigkeit der EU. Die Bundesregierung und auch sie persönlich hätten sehr intensiv an einer Lösung gearbeitet.

Der Kompromiss sieht eine Zusatzerklärung zu dem neuen Mechanismus vor, mit dem bestimmte Rechtsstaatsverstöße durch Kürzung von EU-Mitteln geahndet werden können. Darin sind Möglichkeiten festgelegt, wie Ungarn und Polen sich gegen die Anwendung der Regelung wehren könnten. Dazu gehört eine Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof, was die Anwendung des Verfahrens deutlich hinauszögern könnte.

Polen und Ungarn kündigten tatsächlich umgehend eine EuGH-Klage an. Den Kompromiss verbuchten sie als Erfolg für sich. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sagte auf Facebook: "Wir haben die Interessen Ungarns geschützt. Die Landung war erfolgreich." Auch der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki äußerte sich zufrieden. Er sprach von einem "doppelten Sieg", zumal sein Land aus dem EU-Haushalt umgerechnet 174 Milliarden Euro zu erwarten hat.

Befürworter des Rechtsstaats-Mechanismus freuten sich ihrerseits, dass das Instrument nun tatsächlich eingeführt wird. Der Grünen-Europaabgeordnete Rasmus Andresen meinte, die Zusatzerklärung sei unverbindlich. Erleichterung herrschte vor allem, dass in der Corona-Krise die Finanzmittel freigegeben werden. "Europa beweist seine Handlungsfähigkeit", sagte Bundesfinanzminister Olaf Scholz.

Beim zweiten zentralen Gipfelthema - der Verschärfung des EU-Klimaziels für 2030 - zeichnete sich nach Angaben aus EU-Kreisen Unterstützung ab. Die vorbereitete Gipfelerklärung sieht vor, dass die EU bis 2030 ihre Treibhausgase um 55 Prozent senkt, im Vergleich zu 1990. Bisher ist das Ziel minus 40 Prozent. Auch dies wäre international ein wichtiges Zeichen. Doch der Beschluss zum Klimaziel verzögerte sich am Donnerstagabend. Polen und andere Staaten forderten nach Angaben von Diplomaten weitere Zusagen für finanzielle Hilfen bei der Energiewende.

Schneller ging die Einigung auf eine abgestimmte Linie im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Insbesondere bei den möglichen Lockerungen der bisherigen Reisebeschränkungen wolle man zusammenarbeiten - sobald es die gesundheitliche Situation erlaube. Wenn bald Impfstoffe eingesetzt werden könnten, heiße das nicht, "dass die Pandemie vorbei ist". Von der EU-Kommission erwarte man Empfehlungen zu Verwendung und gegenseitiger Anerkennung von Antigen-Schnelltests. Auch ein gemeinsamer Ansatz für Impfpässe soll entwickelt werden.

Einig wurden sich die 27 Staaten auch, die Wirtschaftssanktionen der EU gegen Russland um weitere sechs Monate zu verlängern. Hintergrund ist der andauernde Ukraine-Konflikt. Die EU hatte die Handels- und Investitionsbeschränkungen trotz Milliardenverlusten für heimische Unternehmen zuletzt im Juni bis zum 31. Januar 2021 verlängert. Sie sollen nun bis Ende Juli nächsten Jahres gelten.

Die schwierigen Beziehungen zur Türkei wurden am Abend besprochen. Nach dem Entwurf der Gipfel-Erklärung dürften der Türkei trotz anhaltender Provokationen vorerst harte EU-Sanktionen erspart bleiben. Geplant waren indes wegen der Erdgasbohrungen der Türkei vor Zypern "zusätzliche Listungen". Damit sind Strafmaßnahmen gegen beteiligte Einzelpersonen und Unternehmen gemeint.

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