Luxemburg. Der EuGH zeigt Orbans rechtsnationaler Regierung einmal mehr die Grenzen auf: Das ungarische Hochschulgesetz ist rechtswidrig. Den Streit über Rechtsstaatlichkeit in der EU dürfte das Urteil nicht beruhigen.

Ungarn hat - man muss das so sagen - schon wieder EU-Recht gebrochen. Der Europäische Gerichtshof kassierte das Hochschulgesetz der rechtsnationalen Regierung in Budapest, das auf die von US-Milliardär George Soros gegründete Central European University (CEU) zielte.

Der Schaden ist indes längst angerichtet. Die CEU zog Ende 2018 weitgehend nach Wien. Es ist bereits das vierte Mal dieses Jahr, dass der EuGH in politisch brisanten Fällen gegen die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban entscheidet. Anfang April urteilten die Richter, dass Ungarn sich in der sogenannten Flüchtlingskrise nicht hätte weigern dürfen, an der Umverteilung von Asylbewerbern aus Griechenland und Italien teilzunehmen. Sechs Wochen später erklärte der EuGH die Unterbringung von Asylbewerbern in Ungarns Transitlagern für rechtswidrig. Fünf Wochen darauf urteilten die Richter, das sogenannte NGO-Gesetz verstoße gegen EU-Recht. Nun also das Hochschulgesetz.

Orban, der seit 2010 ununterbrochen Ministerpräsident ist, stellt die EU mit seinem Regierungsstil seit längerem auf eine harte Probe. Er setzt die Zivilgesellschaft unter Druck und fährt einen abschreckenden Kurs gegen Migranten und Asylbewerber. Erst am Montag sagte der deutsche Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD) im Europaparlament: "Rechtsstaatlichkeit eint uns nicht mehr, und das ist ein bitterer, trauriger Befund. Rechtsstaatlichkeit spaltet uns."

Das gilt insbesondere für den Mechanismus, der künftig die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards an die Vergabe von EU-Geld koppeln soll. Europaparlament und EU-Staaten verhandeln im Zusammenhang mit dem siebenjährigen EU-Haushalt ab 2021 darüber. Ungarn und Polen sind kategorisch gegen ein Instrument, das ihnen ernsthaft gefährlich werden könnte - und drohen, die Verhandlungen zu blockieren.

Grund dafür sind auch die neuen Rechtsstaatsberichte, die die EU-Kommission vergangene Woche vorgelegt hat. Zum ersten Mal hat die Brüsseler Behörde systematisch untersucht, wie es bei Medienvielfalt, Gewaltenteilung oder Justiz in den 27 EU-Staaten aussieht. Für Ungarn fiel das Zeugnis vernichtend aus. Unter anderem kritisiert die EU-Kommission eine mangelnde Unabhängigkeit der Justiz, eine systematische Behinderung und Einschüchterung unabhängiger Medien sowie Mängel bei der Korruptionsbekämpfung.

Derlei Missstände werden in Ungarn schon lange kritisiert. Doch die EU-Instrumente dagegen sind oft zu behäbig. Das nun betroffene Hochschulgesetz wurde bereits im April 2017 eingeführt. Es sieht vor, dass ausländische Universitäten auch in ihrem Heimatland lehren müssen und der Betrieb von Ungarn vertraglich mit dem Heimatland vereinbart sein muss. Universitäten aus EU-Ländern sind ausgenommen.

Die von Soros gegründete, in den USA akkreditierte CEU war die einzige Universität aus dem Nicht-EU-Ausland, die diese Anforderungen nicht erfüllte. Ende 2018 verkündete die CEU tatsächlich ihren weitgehenden Umzug nach Wien. Bereits ein Jahr zuvor hatte die EU-Kommission entschieden, gegen Ungarn vor dem EuGH zu klagen - nun liegt das Urteil vor.

Orban hat sich den aus Ungarn stammenden Holocaust-Überlebenden Soros schon vor Jahren als Feindbild auserkoren. Einst, in der Zeit der demokratischen Wende, war der heute 90-Jährige sein Förderer, heute überzieht Orban ihn mit Verleumdungen und antisemitisch konnotierten Anfeindungen.

Die Luxemburger Richter geben der EU-Kommission nun weitgehend Recht. Das Hochschulgesetz verstoße unter anderem gegen Verpflichtungen aus dem internationalen Handelsrecht - dem GATS-Abkommen. Zudem werde die EU-Grundrechte-Charta verletzt, etwa mit Blick auf das Recht auf akademische oder unternehmerische Freiheit. Auch gegen das Recht der Niederlassungsfreiheit werde verstoßen.

Zuletzt reagierte Orban auf derlei Urteile mit Geringschätzung und verschwörungstheoretischen Sprüchen. Statt für europäischen Zusammenhalt in der Corona-Pandemie zu sorgen, "ziehen die Brüsseler Bürokraten, die wir bezahlen, gegen uns vom Leder", sagte er im Mai nach dem Transitlager-Urteil. Nach der EuGH-Verurteilung des NGO-Gesetzes im Juni meinte er: "Der liberale Imperialismus will allen Andersdenkenden seine eigene Meinung aufzwingen. Das westeuropäische Hauptquartier des liberalen Imperialismus ist das Soros-Netzwerk."

Die Reaktionen aus dem Europaparlament, das schon lange mehr Druck auf Orban fordert, sind hingegen positiv. "Natürlich ist es erfreulich, dass die Richterinnen und Richter hier ein klares Signal senden und Europäische Werte aufrecht erhalten", sagte Daniel Freund (Grüne). Dennoch habe Orban "mit dem Rauswurf der Central European University" bereits Fakten geschaffen. Wer gegen Grundwerte verstoße, dem sollten EU-Gelder gestrichen werden.

Und Daniel Caspary (CDU) sprach von einem "Schlusspunkt unter ein trauriges und unwürdiges Schauspiel, das mit Europa als Wertegemeinschaft nicht vereinbar ist". Das Urteil zeige erneut, wie wichtig ein funktionierender Rechtsstaat-Mechanismus sei. Orbans Fidesz-Partei ist allerdings immer noch - wenn auch suspendiertes - Mitglied der europäischen Parteienfamilie EVP, der auch CDU und CSU angehören. Ein Rauswurf des Fidesz wird bislang auch von den Unionsparteien verhindert.

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