Brüssel/Minsk. Die EU sendet ein neues Zeichen der Unterstützung an die Gegner des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko. Moskau und Minsk sind erzürnt. Aber auf Sanktionen können sich die Europäer immer noch nicht einigen.

Die Außenminister der EU-Staaten haben durch ein Treffen mit der belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja in Minsk und Moskau für Empörung gesorgt.

Allerdings gelang es ihnen am Montag immer noch nicht, sich auf konkrete Sanktionen gegen Unterstützer von Präsident Alexander Lukaschenko zu verständigen. Zypern verhindert einen solchen Beschluss: Das kleine EU-Land will Sanktionen gegen Belarus erst zustimmen, wenn die EU auch neue Strafmaßnahmen gegen die Türkei verhängt - wegen deren Erdgaserkundungen im östlichen Mittelmeer.

Die Debatte geht nun am Donnerstag bei einem Gipfeltreffen der 27 Staats- und Regierungschefs in die nächste Runde. Innerhalb der EU wächst inzwischen der Unmut über die Blockade. Lettlands Außenminister Edgars Rinkēvičs sagte, es sei bedauerlich, dass man wegen einer "Geiselnahme" keine Entscheidung habe treffen können. Dies sei ein falsches Signal für die ganze Welt.

Mit dem Empfang Tichanowskajas setzten die EU-Außenminister jedoch ein Zeichen. Russland wertete dies als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der ehemaligen Sowjetrepublik. "Angesichts der Lage in Belarus ((Weißrussland) läuft das dem Ziel zuwider, die Stabilität wiederherzustellen", sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa.

Auch die Regierung in Minsk, die sonst lieber ihre Unterstützer aus Russland für sich sprechen lässt, zeigte sich empört darüber, dass die 38-jährige auf internationaler Bühne empfangen wurde. "Unser Land hat es mit einem beispiellosen Druck von Außen zu tun", sagte Regierungschef Roman Golowtschenko. Der Westen versuche, das Land ins "Chaos" zu stürzen. Aus dem Außenministerium hieß es, der Empfang sei eine Missachtung des belarussischen Volkes, das Lukaschenko am 9. August mit großer Mehrheit wiedergewählt habe.

Die EU wies die Vorwürfe scharf zurück. Bei dem Frühstück mit Tichanowskaja sei es um Demokratie und Menschenrechte gegangen, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. "Dies kann nicht als Eingriff in innere Angelegenheiten angesehen werden." Zugleich machten mehrere Außenminister deutlich, dass sie bereit sind, den Kurs gegen Minsk noch einmal zu verschärfen.

Bundesaußenminister Heiko Maas sprach sich dafür aus, auch Sanktionen gegen Lukaschenko persönlich zu prüfen. "Wir müssen feststellen, dass in den letzten Wochen nichts besser geworden ist. Die Gewalt, die Lukaschenko gegen friedliche Demonstranten ausübt, ist völlig inakzeptabel", sagte der SPD-Politiker in Brüssel. Man müsse sich nun die Frage stellen, ob Lukaschenko als Hauptverantwortlicher nicht auch auf die Sanktionsliste kommen solle.

Allerdings blieb unklar, wann die EU die schon seit Wochen geplanten Strafmaßnahmen überhaupt beschließen kann. Zypern und Griechenland fordern von der EU seit langem, schärfer auf von ihnen als illegal erachtete türkische Erdgaserkundungen zu reagieren. Andere EU-Staaten sind der Ansicht, dass dies Vermittlungsbemühungen erschweren könnte. Sie wollen deswegen noch abwarten.

Zypern zeigte sich darüber erneut verärgert. "Unsere Reaktion auf Verstöße gegen unsere zentralen Grundwerte und Prinzipien kann nicht à la carte sein. Sie muss konsistent sein", sagte Außenminister Nikos Christodoulidis zur EU-Politik. Die für die EU höchst unangenehme Blockade Zyperns befeuert zudem die Debatte um eine mögliche Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips bei Sanktionsbeschlüssen. Länder wie Deutschland haben sich grundsätzlich offen dafür gezeigt. Unklar ist, wie weit er gehen könnte.

So dürften es Länder wie Zypern ablehnen, dass Sanktionsbeschlüsse wegen Menschenrechtsverstößen künftig keine Einstimmigkeit mehr erfordern könnten, solche wegen Verletzungen der nationalen Souveränität von EU-Staaten aber schon. Zudem würden vor allem kleine Mitgliedstaaten ein Instrument aus der Hand geben, um ihren Interessen Gehör zu verschaffen.

Die geplanten Belarus-Sanktionen sollen rund 40 Personen treffen, denen eine Beteiligung an Wahlfälschungen oder der gewaltsamen Niederschlagung von friedlichen Protesten vorgeworfen wird - darunter auch den Innenminister. Ob Lukaschenko nun dazugenommen werde, sei noch in der Diskussion, sagte Borrell nach Abschluss der Beratungen. Für die EU sei klar, dass sie dessen Legitimität nicht anerkenne. Sie fordere faire und freie Neuwahlen unter Aufsicht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

In Belarus gibt es seit der Präsidentenwahl Proteste und Streiks gegen Lukaschenko. Der Staatschef, der bereits seit 26 Jahren an der Macht ist, Lukaschenko hatte sich mit 80,1 Prozent wieder zum Sieger erklären lassen. Inzwischen gab es mehrere Tote, Hunderte Verletzte und mehr als 10 000 Festnahmen. Russland unterstützt den als "letzten Diktator Europas" bezeichneten Lukaschenko politisch und finanziell. Die Demokratiebewegung in dem Land sieht Tichanowskaja als Siegerin.

"Wir sind wirklich beeindruckt von dem Mut und dem Durchhaltevermögen der Menschen in Belarus", sagte Borrell. Vor allem die Frauen zeigten echte Führungsstärke. Tichanowskaja forderte die EU-Staaten auf, dem Regime den Geldhahn abzudrehen. "Alles Geld, das Herr Lukaschenko jetzt bekommen kann (...), wird nur für Gewalt genutzt werden." Welche Gewalt sie meint, hatte sie den Ministern bei ihrem Treffen gezeigt: Sie hielt das Foto eines schwer misshandelten Männerkörpers in die Höhe.

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