Lesbos/Athen. Auf Lesbos gibt es ein neues Zeltlager für Flüchtlinge. Die ersten 300 Migranten sind eingezogen. Aber die große Mehrheit will weg - nach Deutschland und in andere europäische Länder.

Nach dem Großbrand im Flüchtlingslager Moria sind auf der griechischen Insel Lesbos etwa 300 Migranten in ein neues Zeltlager eingezogen. Bei den meisten handelt es sich um Familien, wie der staatliche griechische Rundfunk ERT am Sonntag berichtete.

Vor ihrer Aufnahme ins neue Lager mussten alle einen Coronavirus-Schnelltest machen. Dabei sei bei sieben Migranten das Virus entdeckt worden, berichtete der Sender unter Berufung auf das Gesundheitsministerium. Alle sieben seien zur Isolation in einen abgelegenen Teil des Zeltlagers von Kara Tepe gebracht worden.

Die Lage auf der Insel war auch am Sonntag angespannt. Mehrere Tausende Migranten harren auf den Straßen aus. Es könnte Wochen dauern, bis nach dem Brand am vergangenen Mittwoch alle Menschen wieder ein Dach über dem Kopf bekommen. Die Behörden suchen nach weiteren Orten, wo Zeltlager eingerichtet werden können. Die meisten Migranten wollen allerdings nicht in ein neues Lager gebracht werden, sondern weg von der Insel. Auch die Anwohner wehren sich gegen die Errichtung einer neuen Unterkunft.

Im Laufe des Samstags war es immer wieder zu spontanen Demonstrationen und in der Folge auch zu Zusammenstößen zwischen Flüchtlingen und Polizei gekommen. Migranten warfen mit Steinen. Die Polizei setzte Tränengas ein. Das Flüchtlingslager Moria war nach Unruhen und Brandstiftungen fast völlig abgebrannt. Über Nacht wurden dadurch etwa 12 000 Menschen obdachlos.

Unterdessen ging auch die Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen weiter. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken forderte in der "Bild am Sonntag": "Deutschland muss hier vorangehen und kann sich auch unabhängig von der Entscheidung anderer EU-Länder zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge bereit erklären." Die Ankündigung des Innenministers Horst Seehofer (CSU), in einem ersten Schritt 100 bis 150 unbegleitete Minderjährige aufzunehmen, reiche nicht aus.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte demselben Blatt: "Deutschland sollte als Vorbild vorangehen, gern auch mit anderen Europäern in einer Koalition der Willigen." Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) schlug im "Tagesspiegel am Sonntag" einen Krisengipfel von Bund, Ländern und Kommunen zur Aufnahme von Flüchtlingen vor. "Der Bundesinnenminister muss sich mit den hilfsbereiten Ländern, Städten und Kommunen endlich an einen Tisch setzen."

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz bekräftigte unterdessen sein Nein zu einer Aufnahme von Menschen aus dem abgebrannten Lager. "Wenn wir diesem Druck jetzt nachgeben, dann riskieren wir, dass wir dieselben Fehler machen wie im Jahr 2015", sagte der konservative ÖVP-Politiker am Samstagmorgen in einer Videobotschaft auf Facebook. Stattdessen will Österreich 400 Unterkünfte mit Heizungen, Betten und Decken für 2000 Hilfsbedürftige nach Lesbos transportieren lassen. Zudem würden zehn Sanitäter und ein Arzt des Bundesheeres abgestellt.

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