Berlin. Seit mehr als neun Monaten gilt ein teilweiser Rüstungsexportstopp für die Türkei. Grund war der Einmarsch türkischer Truppen in Nordsyrien. In der Exportstatistik schlägt sich die Sanktion gegen den Nato-Partner aber nicht nieder.

Auch nach dem Einmarsch der Türkei in Nordsyrien hat die Bundesregierung Rüstungslieferungen an den Nato-Partner in zweistelliger Millionenhöhe genehmigt.

In den neuneinhalb Monaten seit dem Start der Offensive am 9. Oktober 2019 bis zum 22. Juli 2020 gab sie grünes Licht für Lieferungen im Wert von 25,9 Millionen Euro. Darunter waren aber keine Kriegswaffen. Das geht aus einer Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Linken-Politikerin Sevim Dagdelen hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Die türkischen Truppen waren in Nordsyrien einmarschiert, um dort die von der Regierung in Ankara als Terrororganisation angesehene Kurdenmiliz YPG zu bekämpfen. Die Bundesregierung verhängte daraufhin einen teilweisen Rüstungsexportstopp gegen den Nato-Partner. Er gilt allerdings nur für Waffen und andere militärische Geräte, die in Syrien eingesetzt werden können.

MERKEL: "HUMANITÄRES DRAMA MIT GEOPOLITISCHEN FOLGEN"

Die Bundesregierung hat die türkische Militäroperation als völkerrechtswidrig eingestuft. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete sie im Oktober in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag als "humanitäres Drama mit großen geopolitischen Folgen" und kündigte deswegen den teilweisen Exportstopp an.

Rüstungslieferungen in die Türkei sind aber nicht nur wegen der Syrien-Offensive, sondern auch wegen der türkischen Beteiligung am Libyen-Konflikt umstritten. Die Türkei zählt nach Angaben der Vereinten Nationen zu den Ländern, die sich weiterhin nicht an das Waffenembargo für das Bürgerkriegsland halten - obwohl sie sich beim Berliner Libyen-Gipfel im Januar dazu verpflichtet haben. Sorge bereiten zudem die Spannungen zwischen der Türkei sowie den EU-Mitgliedern Griechenland und Zypern wegen türkischer Erdgaserkundungen im östlichen Mittelmeer.

In der Statistik hat sich das alles aber nicht niedergeschlagen. In den ersten sieben Monaten des Jahres genehmigte die Bundesregierung der deutschen Rüstungsindustrie Lieferungen für mindestens 22,8 Millionen Euro in die Türkei. Das ist jetzt schon mehr als zwei Drittel des gesamten Vorjahreswerts von 31,6 Millionen Euro, obwohl nur etwas mehr als die Hälfte des Jahres vorüber ist. Und es ist fast doppelt so viel wie im Gesamtjahr 2018 mit 12,9 Millionen Euro. Man muss allerdings sagen, dass es wegen einzelner Großaufträge starke Ausschläge nach oben oder unten geben kann.

ÄRGER ÜBER U-BOOT-PROJEKT

Bei den tatsächlichen Exporten von Kriegswaffen lag die Türkei in den vergangenen beiden Jahren in der Rangliste der wichtigsten Empfängerländer sogar an Nummer 1 - mit einem Volumen von zusammen mehr als einer halben Milliarde Euro (587,4 Millionen 2018 und 2019). Die Bundesregierung betont, dass es dabei zuletzt ausschließlich um Güter für den "maritimen Bereich" ging.

Das mit Abstand größte laufende Rüstungsprojekt beider Länder ist der Bau von sechs U-Booten der Klasse 214, die in der Türkei unter maßgeblicher Beteiligung des Konzerns ThyssenKrupp Marine Systems montiert werden. Die Bundesregierung hatte die Lieferung von Bauteilen bereits 2009 genehmigt und den Export mit einer sogenannten Hermes-Bürgschaft von 2,49 Milliarden Euro abgesichert. Damals waren die Beziehungen zwischen beiden Ländern noch deutlich entspannter.

Jetzt gerät das U-Boot-Projekt wegen des sich zuspitzenden Konflikts um Erdgasvorkommen im Mittelmeer immer stärker in die Kritik. Die Lieferungen seien vor diesem Hintergrund "schlichtweg skandalös und unverantwortlich", sagt die Linken-Politikerin Dagdelen. Die Grünen-Rüstungsexpertin Katja Keul meint, die U-Boote seien für die türkische Mittelmeerflotte strategisch von "erheblicher Bedeutung" und eine Bedrohung für Griechenland.

MAAS WILL RÜSTUNGSKOOPERATION MIT NATO-PARTNER NICHT GANZ BEENDEN

Außenminister Heiko Maas hat die teilweise Fortsetzung der Rüstungskooperation mit der Türkei erst vor wenigen Tagen verteidigt und mit der Nato-Partnerschaft begründet. "Die Regierung in Ankara hat im Bündnis Aufgaben übernommen, durch die die gesamte Allianz geschützt wird", sagte der SPD-Politiker der "Rheinischen Post". Er fügte aber hinzu: "Was die Türkei im Syrien-Krieg macht, ist für uns nicht akzeptabel. Wir haben deshalb zahlreiche Anträge der Türkei auf Export deutscher Rüstungsgüter nicht mehr genehmigt, was gegenüber einem Nato-Verbündeten schon ein sehr weitgehender Schritt ist."

Tatsächlich steht in den gerade erst reformierten Richtlinien der Bundesregierung, dass Rüstungsexporte in Nato-Länder "grundsätzlich nicht zu beschränken" seien. Dieser Grundsatz ist allerdings mit einer Ergänzung versehen: "Es sei denn, dass aus besonderen politischen Gründen in Einzelfällen eine Beschränkung geboten ist."

LINKE UND GRÜNE FÜR KOMPLETTEN EXPORTSTOPP

Linke und Grüne sind der Auffassung, dass die vorgenommene Beschränkung nicht ausreicht und fordern einen kompletten Stopp. Dies sei "in Anbetracht der Konflikteskalation durch die Türkei" geboten, sagt Keul. Dagdelen meint, dass auch die seit Oktober genehmigten Güter für den Einsatz in Syrien nutzbar gemacht werden könnten. "Die Bundesregierung täuscht die Öffentlichkeit, wenn sie behauptet, für die Türkei keine Rüstungsgüter zu genehmigen, die auch in Syrien eingesetzt werden könnten."

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