Luxemburg. Es war vor allem ein Zeichen der Solidarität: Während der Hochphase der Flüchtlingskrise beschlossen die EU-Staaten, Griechenland und Italien Asylbewerber abzunehmen. Drei Länder beteiligten sich jedoch nicht - und wurden nun vom EuGH verurteilt.

Im jahrelangen Streit über die Verteilung von Asylbewerbern haben Polen, Ungarn und Tschechien eine schwere Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof erlitten.

Die drei mitteleuropäischen Länder durften sich nach einem Urteil der Luxemburger Richter vom Donnerstag nicht weigern, Italien und Griechenland während der Flüchtlingskrise Asylbewerber abzunehmen. Damit hätten sie gegen EU-Recht verstoßen (Rechtssachen C-715/17, C-718/17 und C-719/17).

WIE EIN JAHRELANGER STREIT BEGANN

Italien und Griechenland hatten am Andrang von Asylsuchenden 2015 besonders schwer zu tragen. Deshalb entschieden die EU-Staaten in zwei Mehrheitsentscheidungen die Umverteilung von bis zu 160 000 Asylbewerbern aus den beiden Ländern. Ungarn, Polen und Tschechien weigerten sich jedoch beharrlich, die Beschlüsse umzusetzen - obwohl der EuGH ihre Rechtmäßigkeit später bestätigte.

Ungarn und Polen nahmen im Rahmen der Beschlüsse keinen einzigen Asylbewerber auf, Tschechien zwölf. Deshalb klagte die EU-Kommission gegen die drei Länder. Mittlerweile sind die Programme beendet, tatsächlich umgesiedelt wurden nach Angaben der EU-Kommission nur knapp 35 000 Menschen. Der Streit über die Migrationspolitik in der EU hält allerdings unvermindert an.

DAS URTEIL

Polen und Ungarn hatten argumentiert, die Umsiedlung gefährde die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung. Die obersten EU-Richter stellten nun klar, dass die beiden Länder mit dieser Begründung nicht pauschal die Aufnahme aller Asylbewerber ablehnen durften. Stattdessen hätte jeder Fall einzeln geprüft müssen.

Auch dem tschechischen Argument, der Mechanismus funktioniere nicht, widersprach der EuGH. Indem ein Land sich jedoch einseitig der Verantwortung entziehe, würden das Ziel der Solidarität sowie die Verbindlichkeit der Beschlüsse unterlaufen. Die Entscheidungen seien bis zu ihrem Ende für Tschechien gültig gewesen - unabhängig davon, welche Hilfe Prag sonst noch für Griechenland und Italien leiste.

KEINE EINSICHT

Keines der drei Länder misst dem Urteil irgendeine Bedeutung bei. Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis sagte der Agentur CTK: "Wir haben diese juristische Auseinandersetzung zwar verloren, aber das ist nicht wichtig." Entscheidend sei, "dass wir keine Migranten aufnehmen werden und dass das Quotenprojekt in der Zwischenzeit beendet wurde - und das hauptsächlich dank uns."

Auch aus Sicht der polnischen und ungarischen Regierung hat das Urteil keine Konsequenzen. Die 2015 gefassten EU-Beschlüsse seien ausgelaufen, ihre Umsetzung daher nicht mehr möglich, sagte der polnische Regierungssprecher Piotr Müller der Nachrichtenagentur PAP. Ungarns Justizministerin Judit Varga sagte laut Nachrichtenagentur MTI: "Der Spruch hat keine weiteren Konsequenzen." Es gebe für Ungarn keine Verpflichtung, Asylbewerber aufzunehmen.

BREITE ZUSTIMMUNG - VON FAST ALLEN

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach hingegen von einem wichtigen Urteil. Es beziehe sich zwar auf die Vergangenheit, gebe aber Orientierung für die Zukunft. "Das Gericht ist sehr klar was die Verantwortung der Mitgliedstaaten angeht." Zum weiteren Vorgehen der EU-Behörde äußerte sie sich nicht.

Auch sonst erfuhr das Urteil über Partei-Grenzen hinweg viel Zustimmung - außer von der AfD. Der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt sagte etwa: "Es ist gut, dass der Europäische Gerichtshof klarstellt, dass die Verweigerung europäischer Solidarität gegen EU-Regeln verstößt." Cornelia Ernst (Linke) sprach von einem "klaren und richtigen Signal in Richtung der Rechtsaußen-Regierungen in Polen und Ungarn". Und die EU-Abgeordnete Lena Dupont von der CDU sagte: "Das Urteil, das sich auf die Lage 2015 bezieht, ist folgerichtig und macht deutlich, dass europäische Solidarität grundsätzlich keine Einbahnstraße ist."

AfD-Politikerin Beatrix von Storch betonte hingegen, die Entscheidung zeige, dass die nationale Souveränität in der EU gestärkt werden müsse.

DIE EU UND IHRE ASYLREFORM

Seit Jahren ist klar: Die Asyl- und Migrationspolitik der EU muss reformiert werden. Und seit Jahren geht es kaum voran. Staaten wie Griechenland und Italien an den südlichen Außengrenzen wollen die sogenannten Dublin-Regeln ändern. Danach ist meist jener Staat für einen Asylantrag zuständig, dessen Boden der Schutzsuchende zuerst in Europa betreten hat.

Länder wie Ungarn, Polen, Tschechien oder auch Österreich lehnen eine verpflichtende Umverteilung von Asylbewerbern jedoch strikt ab. Nach Ostern will die EU-Kommission einen neuen "Migrationspakt" vorlegen. Eine verpflichtende Quote für alle Staaten dürfte dort - auch wegen der unnachgiebigen Haltung der Mitteleuropäer - keine Rolle mehr spielen. Stattdessen wird es wohl darum gehen, auch andere Formen der Solidarität, etwa Geldzahlungen oder die Lieferung von Hilfsgütern, zuzulassen.