Kuala Lumpur. Experten rätseln, was Nordkoreas Diktator vor hat. Der mutmaßliche Giftmord an seinem Halbbruder löst eine diplomatische Krise aus.

Eine Woche lang liegt die Leiche von Kim Jong-nam, dem auf dem Flughafen von Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur ermordeten älteren Halbbruder von Nordkoreas Diktator Kim Jong-un, nun schon auf dem Seziertisch des Polizeilabors. Doch statt konkreter Ergebnisse liefert die Obduktion bislang nur erhebliche Verstimmung zwischen Pjöngjang und Kuala Lumpur. Kim Jong-nam soll von zwei Frauen mit einer giftigen Substanz besprüht worden sein. Der 45-Jährige starb kurz darauf auf dem Weg ins Krankenhaus. Vier Verdächtige wurden festgenommen.

Kang Chol, der Botschafter der Diktatur in Malaysia, hatte der Regierung von Premierminister Najib Razak am Wochenende vorgeworfen, gemeinsame Sache mit „feindlichen Kräften“ seines Landes zu machen. Das Außenministerium des südostasiatischen Landes lud den undiplomatischen Botschafter prompt vor und las ihm die Leviten. Außerdem wurde Malaysias Botschafter in Pjöngjang zu „Konsultationen“ heimgerufen.

Nordkoreas Botschafter echauffierte sich, weil seine Regierung am liebsten eine Obduktion des Mordopfers in Kuala Lumpur verhindert hätte. „Wir werden die Ergebnisse nicht anerkennen“, schimpfte Kang in die bereitgehaltenen Mikrofone. Malaysias Behörden hielten dagegen. „Wir werden die Ergebnisse der Untersuchung vielleicht am Mittwoch vorlegen“, erklärte der Gesundheitsminister, „so lange dauert es üblicherweise.“

Hat Kim Jong-un rein aus „Paranoia“ gehandelt?

Sollte sich bestätigen, dass Machthaber Kim Jong-un hinter dem Mord seines Halbbruders steckt, würde sich zeigen, wie makaber er nicht nur gegen seine politischen Widersacher vorgeht, sondern auch gegen seine eigene Familie. Einmal mehr würde sich die Frage stellen: Ist der Diktator vollends wahnsinnig? Oder stellte sein Halbbruder eine wirkliche Gefahr für ihn dar?

Südkoreas Geheimdienstchef Lee Byung-ho geht davon aus, dass Kim Jong-un rein aus „Paranoia“ gehandelt habe. Der ältere Halbbruder hatte mehrfach betont, dass er kein Interesse habe, zur Macht zu greifen und hatte nach einem ersten Attentatsversuch seinen Bruder sogar gebeten, ihn zu verschonen. Er wolle bloß in Frieden leben. Allerdings hat der südkoreanische Geheimdienst schon mehrfach den jungen Kim als einen Durchgeknallten mit instabiler Persönlichkeit dargestellt.

Auch China trägt die UN-Sanktionen mit

Dieser Erklärung widerspricht die südkoreanische Zeitung „Hankyoreh“. Der junge Diktator sei schon seit einiger Zeit von der Angst getrieben, China könnte mit dem älteren Halbbruder eine „Marionetten-Regierung“ installieren. Offiziell gilt China zwar als letzter noch verbliebener Verbündeter Nordkoreas. Doch das Verhältnis hat sich extrem verschlechtert. Vor allem das Atomwaffenprogramm des jungen Diktators wird auch von Peking scharf verurteilt. Die chinesische Führung trägt die UN-Sanktionen mit. Jong-nam hingegen war bis zum Schluss ein gern gesehener Gast in Peking und durfte sich mit seinem Wohnsitz in Macau sogar auf chinesischem Territorium niederlassen.

Eine Erklärung mit einer anderen Stoßrichtung liefert der in Japan lebende Politologe Narushige Michishita vom National Graduate Institute for Policy Studies in Tokio. Das Ziel des nordkoreanischen Diktators sei es, die USA an den Verhandlungstisch zu bringen. Im Wahlkampf hatte Donald Trump diese Hoffnung noch genährt. Seitdem er jedoch im Amt ist, hat es aus Washington mehrfach Signale geben, dass die USA wie schon unter Barack Obama auch weiter mit Sanktionen das Regime in Pjöngjang unter Druck setzen wollen.

Trump hat keine Strategie Nordkoreas Atomprogramm zu stoppen

Nun setze Pjöngjang wieder auf Provokation, vermutet Michishita. Eine Rakete hat das Regime vor einer Woche abgeschossen. Der Mord am Halbbruder sorge für weitere Schlagzeilen. „Kim will genug reizen, um Aufmerksamkeit zu erregen – aber nicht zu viel, um als Gesprächspartner völlig inakzeptabel zu sein und Gespräche im Keim zu ersticken oder gar eine heftige Gegenreaktion auszulösen“, sagt Michishita. „Diese Aktionen richten sich unmittelbar an Trump.“

Ob diese zugegeben auf verworrene Weise zugesandte Botschaft den US-Präsidenten erreichen? Beim Besuch des japanischen Premierministers Shinzo Abe vergangene Woche in den USA versicherte Trump seine Bündnistreue zu Japan und Südkorea. Und auch China scheint sich Trump anzunähern, nachdem er die Regierung in Peking im Wahlkampf noch mehrfach düpiert hatte. Dass könnte als Zeichen gewertet werden, dass Trump nun doch auf ein gutes Verhältnis zur chinesischen Führung hofft und nicht wie bislang ihr wegen ihres laxen Umgang zum einstigen Bruderstaat die Schuld an Nordkoreas Atomprogramm gibt.

Eine Strategie, wie er das Atomprogramm Nordkoreas stoppen will, scheint Trump nicht zu haben. Auf die Frage, wie er auf Nordkoreas technische Fortschritte reagieren wolle, antwortete Trump lediglich: „Nordkorea ist offensichtlich ein großes, großes Problem, bei dem wir sehr hart durchgreifen werden.“