Bukarest. In Rumänien reißen die größten Proteste seit der politischen Wende im Jahr 1989 nicht ab. Das Regierungskabinett steht auf der Kippe.
Es ist ein deutlicher Beweis für die Macht der Demonstranten auf der Straße: Die anhaltenden Massenproteste gegen die sozialdemokratische Regierung veranlassten Rumäniens Präsident Klaus Iohannis am Dienstag zu der Klarstellung, dass er zunächst keine Neuwahlen ausrufen werde. Der Präsident betonte in einer Rede im Parlament aber ebenfalls sehr deutlich, dass es zur Lösung der Krise nicht ausreiche, dass nur ein Minister zurücktrete.
„Die Lösung muss von der (sozialdemokratischen Regierungspartei) PSD kommen“, betonte der Präsident. Ein Aufruf zum Führungswechsel in der Regierungspartei PSD, deren Vorsitzender Liviu Dragnea die treibende Kraft der umstrittenen Korruptionsverordnung war.
Politiker als Marionetten
Was ist los in dem EU-Land, das bislang eher aus den Schlagzeilen blieb? Was macht die Leute so wütend? Rückblick: „In den Knast, nicht an die Macht!“, tönten am Sonntagabend die Sprechchöre über Piata Victoriei, den Bukarester Siegesplatz. Allein vor der Regierungszentrale in Rumäniens Hauptstadt hatten sich fast 300.000 Menschen versammelt, um gegen eine Verordnung zu protestierten, die den Kampf gegen Korruption einschränken sollte.
Sie ließen große Marionetten führender Politiker in Gefängniskleidung durch die Straßen marschieren. An einer Ecke wurde die rumänische Variante von „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ gesungen. Vor dem gegenüberliegenden Naturkundenmuseum rief eine Gruppe von Studenten, man könne „den Dinosauriern“ gerne beim Umzug helfen – ein Hinweis darauf, dass viele Rumänen die politische Klasse ihres Landes nicht mehr für zeitgemäß halten.
Sie hatten Erfolg, Ministerpräsident Sorin Grindeanu zog die umstrittene Korruptionsverordnung am Sonntagabend zurück. Zum ersten Mal verspürten die Menschen einen Hauch von Erleichterung – und viel Stolz. Stolz drauf, dass so viele gekommen waren, um ihrem Ärger Luft zu machen.
Historische Massenproteste in Rumänien
Auf der Straße wird der Rücktritt des Ministerpräsidenten gefordert
Doch es war nur ein Anfang: Die Proteste in Bukarest und zahlreichen anderen Städten des Landes gehen weiter. Zu wenig Vertrauen haben die Demonstranten in Grindeanu und seine von Korruptionsskandalen geschüttelten sozialdemokratischen Partei PSD. Die Menschen auf der Straße fordern nach wie vor den Rücktritt des Ministerpräsidenten.
Die PSD hatte die Wahlen im Dezember 2016 gewonnen, allerdings lag die Wahlbeteiligung bei weniger als 40 Prozent. Kaum einen Monat im Amt, gelang es der neuen Regierung, einen Großteil der Gesellschaft gegen sich aufzubringen und die größten Proteste seit der Wende von 1989 auszulösen.
Umstrittene Reform im Eiltempo
Das Kabinett hatte die umstrittene Verordnung im Eilverfahren verabschiedet. Eine „Bagatellgrenze“ von rund 45.000 Euro sollte eingeführt werden, unter der Amtsmissbrauch künftig straffrei geblieben wäre. Sie hätte die Verfolgung von Korruption stark eingeschränkt und damit zahlreichen Politikern, Beamten und Geschäftsleuten genutzt. Diese Änderungen hätten die Verfolgung von Amtsmissbrauch oder Interessenkonflikten deutlich erschwert. Laufende Ermittlungen in mehr als 2500 Fällen hätten eingestellt werden müssen, und auch bereits rechtskräftig verurteilte Personen wären freigekommen.
Hauptprofiteurin der Änderungen wäre die Führungsriege der PSD, allen voran ihr Vorsitzender Dragnea, gewesen. Auch zahlreiche amtierende oder frühere Minister, Abgeordnete und Bürgermeister, die ihre Verwandten und Geschäftspartner begünstigt, Luxuswagen aus EU-Geldern gekauft oder Aufträge überteuert vergeben haben, wären ähnlich wie Dragnea ihre Probleme mit der Justiz los geworden.
Probleme mit Korruption in der Führungsriege
Der vorbestrafte Dragnea ist die Schlüsselfigur der politischen Krise. Er strebt das Amt des Ministerpräsidenten an, war allerdings wegen Wahlmanipulationen zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Vorbestraften ist in Rumänien der Zugang zu Regierungsämtern verboten. Nun will er vor Gericht als unbescholten erklären lassen.
Dazu legte er wegen eines angeblichen Formfehlers Widerspruch gegen das Urteil des obersten Gerichts vom Mai 2016 ein. Er habe die schriftliche Urteilsbegründung immer noch nicht bekommen, obwohl das Gericht dazu binnen 30 Tagen verpflichtet gewesen sei. Damit existiere dieses Urteil auch nicht, so seine Argumentation.
Weitere Demonstrationen angekündigt
Die Demonstranten geben nicht auf. Sie haben zu weiteren Kundgebungen in dieser Woche aufgerufen. Viele befürchten, dass die Politiker zu einem späteren Zeitpunkt erneut versuchen könnten, sich selbst durch weitere Gesetzesnovellen zu retten – etwa durch einen bereits dem Parlament vorgelegten Entwurf zur Begnadigung von Straftätern. Chef-Staatsanwältin Laura Codruţa Kövesi, die Leiterin der gefürchteten „Sonderabteilung für die Bekämpfung der großen Korruption“ (DNA), kritisierte aufs Schärfste die Pläne der Regierung. „Dragnea, Laura wartet auf dich“, gehört mittlerweile zu den Lieblingsrufen der Straße.
Zu den entschlossenen Kritikern zählt auch Präsident Iohannis, der sich als Garant der Korruptionsbekämpfung und Held der Protestbewegung zu inszenieren versucht. Beobachter sehen die Rolle des Präsidenten nicht ohne eine gewisse Ironie. Der Staatschef selbst ist in eine Immobilienaffäre um ein gefälschtes Testament verwickelt. Er genießt aber laut Verfassung während seiner Amtszeit absolute Immunität.