Rom. Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi gerät wegen Personalquerelen, Müllskandalen und Ärger um eine Olympiabewerbung in Erklärungsnot.

Roms Bürgermeisterin sprach ein Machtwort. „Es ist unverantwortlich, Ja zu dieser Kandidatur zu sagen.“ In knappen Worten machte Virginia Raggi in dieser Woche dem Traum von Olympia ein Ende. Rom werde nicht für die Spiele 2024 kandidieren. Die Stadt sei zu hoch verschuldet, es gebe sogar noch Altlasten der Spiele von 1960. Viele neue Bauprojekte seien eine Einladung für Korruption.

Aber was politische Schlagkraft demonstrieren sollte, wurde für die Stadtchefin zum Bumerang: Die Römer empfanden das Nein zur Kandidatur wie ein bolschewikisches Njet. Die Politikerin der aus einer Protestbewegung hervorgegangenen Partei Fünf Sterne (MoVimento 5 Stelle) hatte sich zwar schon im Wahlkampf gegen die Austragung der Spiele ausgesprochen. Sie hatte aber signalisiert, ihre Mitbürger vor der endgültigen Entscheidung in einer Volksabstimmung zu befragen.

Es drohen millionenschwere Schadenersatzklagen

Italiens Sportler, allen voran der Chef des Nationalen Olympischen Komitees CONI, Giovanni Malago, sind aufgebracht. Letzterer will die Stadt um Schadensersatz für die Kosten der Bewerbungskampagne verklagen. Die Raggi-freundliche Tageszeitung „Il Fatto Quotidiano“ rechnete Verschwendung in Höhe von zehn Millionen Euro vor.

Vor drei Monaten hatte die 38-jährige Anwältin mit großen Vorschusslorbeeren die Geschäfte in der Millionenmetropole übernommen. Doch nun sind die Beliebtheit und das Vertrauen in die Fähigkeit der Bürgermeisterin im freien Fall.

Dabei versucht Virginia Raggi seit zehn Tagen krampfhaft, das mediale Ruder herumzureißen. Zum Fototermin stellte sie sich in der vergangenen Woche gemeinsam mit ihrer Kollegin, der Fünf-Sterne-Bürgermeisterin von Turin, auf den Balkon am „schönsten Büro der Welt“. Beides hübsche Frauen, beide in leichten Sommerkleidern unter azurblauem Himmel und mit Blick auf die ewige Stadt. Die Szene sollte herunterspielen, dass in der gemeinsamen Partei Panik herrschte.

Dubiose Müllentsorgungsfirmen spielen eine Rolle

Die Senkrechtstarterin von einst hat derzeit eine Menge Probleme. Sie verfügt nicht einmal über eine vollständige Mannschaft. Anfang September musste Raggi gemeinsam mit ihrer Umweltbeauftragten bei der Ökomafia-Kommission des italienischen Parlaments antreten. Es handelte sich um eine Anhörung, bei der es um einen Müllskandal voriger Stadtregierungen ging. Viele hatten sich längst gefragt, warum Raggi die Frau überhaupt ins Team geholt hatte.

Es war offenkundig, dass die Expertin schon früher dubiosen Müllentsorgungsfirmen und Funktionären gedient hatte, die heute hinter Gittern sitzen. Die zentrale Frage an Raggi war: Wusste sie, dass die Staatsanwaltschaft gegen die von ihr eingesetzte Umweltassessorin in einem der ganz großen Korruptionsverfahren ermittelt? „Ja, ich habe das gewusst“, entgegnete die Bürgermeisterin.

Ausgerechnet sie, die Hoffnungsträgerin! Die neue Spitzenfrau, die gegen den Filz der politischen Kaste Italiens angetreten war, die ihre Stadt nach Jahren politischer Skandale um Korruption und Mafia nun nachhaltig und transparent regieren wollte, hatte verschwiegen, wen sie da in die Regierung geholt hatte? Dabei sollte Rom doch Vorzeigestadt für die Regierungstauglichkeit der Fünf-Sterne-Protestler werden.

Spitzengehälter in dem Team der Bürgermeisterin

Es brachen Flügelkämpfe in der Protestpartei aus. Erboste Abgeordnete bezichtigten Raggi der Lüge. Der erst 30 Jahre alte Jungstar Luigi Di Maio, stellvertretender Präsident des italienischen Parlaments, geriet in die Enge. Er sei über die Sache informiert worden, habe aber auch geschwiegen, räumte er ein. Parteigründer Beppe Grillo sah sich gezwungen, seine „Sternenkinder“ zu rüffeln, und diktierte den Auftrag für das Nein zu Olympia.

Erst nach wochenlangem Gezerre hatte Raggi eine Mannschaft beisammen. Hohe Wellen schlug es, dass die Jungbürgermeisterin dabei einigen Auserwählten im Team Spitzengehälter zugeschustert hatte, mehr als doppelt so hoch wie der von der Fünf-Sterne-Bewegung selbst auferlegte Höchstsatz.

1,2 Milliarden Euro fehlen in der Stadtkasse

Kurz darauf mussten die Kabinettschefin, der Wirtschaftsassessor, die Chefs von Stadtreinigung und Verkehrsbetrieben wegen „Mauschelei“ sowie der Affäre um die Umweltbeauftragte das Rathaus verlassen. Zentrale Positionen in einer Stadt, in deren Bilanz ein Loch von 1,2 Milliarden Euro klafft und die einen Schuldenberg von zwölf Milliarden vor sich herschiebt.

Hinzu kommen Berge von Dreck und Müll, ein Drittel aller Busse und Bahnen steht schrottreif im Depot. Bei der Suche nach Nachfolgern fragte Raggi auch bei einem befreundeten Anwalt nach. Ausgerechnet bei einem, der aus dem Dunstkreis von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi und dessen wegen Korruption verurteilten Mitstreitern kommt.

Als am Freitag bekannt wurde, dass sie angeblich auch die Genehmigung für den Bau des neuen Fußballstadions des AS Rom zurückziehen will, war die Geduld der Römer am Ende. Der Unmut entfesselte sich in den sozialen Medien. Die Oppositionsführerin aus dem rechten Lager, Giorgia Meloni, fasste den Ärger in einem Tweet so zusammen: Virginia Raggi fehle es an Mut, eine Kandidatur zu organisieren, die frei von Korruption sei.

Ihre Bewegung sei nicht in der Lage, die angekündigte politische Revolution zu realisieren. Die Bürgermeisterin sei wie „ein Feigling davongelaufen“, statt CONI-Chef Malago zu treffen. Den hatte Raggi am Tag der Entscheidung einfach versetzt und war in eine Pizzeria gegangen.