Kandil. Ortsbesuch bei einem kurdischen Kommandeur im nordirakischen Kandil-Gebirge: Dort ist der Rückzugsraum der Untergrund-Organisation PKK.

Das Kandil-Gebirge im Nordirak. Eine schroffe Berglandschaft, versteckte Täler, Höhlen, hohe Gipfel. Perfekt, um sich zu verstecken. Diese unwegsame Region südlich der Türkei, nahe der irakisch-iranischen Grenze, ist der Rückzugsraum der PKK, die seit vier Jahrzehnten in der Türkei einen Guerillakrieg führt und die dort, in den USA und der EU als Terrororganisation gilt.

Im syrischen Bürgerkrieg ist die kurdische Arbeiterpartei aber auch ein Partner des Westens, mit ihrer Schwesterpartei PYD kämpft sie effektiv gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Riza Altun ist einer ihrer Gründer, ein enger Weggefährte des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan und Mitglied des Exekutivrates. Ein wichtiger Kommandant, den die Türkei lieber tot als lebendig sehen will. Er stimmt einem Treffen im Kandil-Gebirge zu.

PKK ist Anti-Terrorgruppe und Terrorgruppe in einem

Die PKK ist derzeit in der wohl eigenartigsten Situation ihrer Geschichte. Bei ihren Angriffen in der Türkei sterben immer wieder Zivilisten. Mit ihrem Kampf gegen den IS hat sie Sympathien im Westen gewonnen. Die PKK ist derzeit eine Terrororganisation – und zugleich eine Anti-Terrororganisation. Zudem ist der Krieg mit der Türkei wieder voll entflammt. Die türkische Armee ist jüngst nach Syrien einmarschiert und geht dort gegen die kurdischen Partner des Westens vor. Die nächste Volte in einem Krieg, der immer unübersichtlicher wird.

Hinter der nordirakischen Stadt Ranya beginnt der Weg in die Berge. Eine Serpentinenstraße schlängelt sich steil hinauf. Auf dem ersten Gipfel ein Checkpoint. Schwer bewaffnete, in Olivgrün gekleidete und vermummte Kämpfer kontrollieren die Autos. Am Berghang gegenüber prangt ein riesiges Porträt Öcalans, daneben die rote Fahne der Partei. Tausende Milizionäre sollen sich in den Bergen verstecken, immer wieder bombardiert die türkische Luftwaffe die Gegend.

„Die Türkei ist so schwach wie nie“

In einem Haus ein Zwischenstopp. Der PKK-Verbindungsmann kommt nach einer Stunde, das Mobiltelefon muss ausgeschaltet und zurückgelassen werden. Auch der Pass darf nicht mit. „Da ist ein Chip drin, der geortet werden kann“, sagt der Milizionär. Ein anderes Auto, nochmal eine halbe Stunde Fahrt durch das Gebirge. Dann weiter zu Fuß. In einem Hain an einem Bach schließlich der Treffpunkt. Die Bäume sind ein Schutz gegen die türkischen Drohnen, die die Region regelmäßig überfliegen.

Riza Altun kommt eine halbe Stunde später, auch er in olivgrüner Uniform. Er spricht Türkisch, der Verbindungsmann übersetzt ins Englische. Er versucht die verworrene Situation in Syrien aus Sicht der PKK zu erklären: „Die Türkei ist so schwach wie nie. Sie hat nach dem arabischen Frühling versucht, eine eigene Hegemonie im Nahen Osten zu etablieren und dabei auf eine religiöse und sektiererische Agenda gesetzt“, sagt Altun.

Mit dieser Politik sei der türkische Präsident Erdogan gescheitert. Jetzt gehe es der Türkei vor allem darum, zumindest die Kurden davon abzuhalten, einen „politischen Status“ zu erringen.

Ankara will Kurdenstaat mit allen Mitteln verhindern

Vor einer Woche ist die Türkei in Syrien einmarschiert und hat den IS kampflos aus der Grenzstadt Dscharablus vertrieben. Jetzt attackiert die Armee die „Demokratischen Streitkräfte Syriens“ (SDF), einen Zusammenschluss der YPG – dem bewaffneten Arm der PYD – mit arabischen und christlich-assyrischen Milizen.

Die SDF haben in den vergangenen Monaten in Syrien große Gebiete von der dschihadistischen Terrormiliz zurückerobert. An der Südflanke der Türkei ist mit „Rojava“ eine von der PYD kontrollierte quasi-autonome Region entstanden. Ankara hatte immer wieder angekündigt, die Bildung eines Kurdenstaates im Norden Syriens mit allen Mitteln zu unterbinden.

Der IS oder Daesh, wie die Terrormiliz auf Arabisch genannt wird, hat das strategisch wichtige Dscharablus ohne Gegenwehr verlassen, aber an anderen Schauplätzen wie etwa der jüngst von den Kurden eroberten Stadt Manbidsch 50 Kilometer weiter südlich erbittert gekämpft. Kein Zufall für Riza Altun. „Daesh, aber auch andere salafistische Gruppen wie die Nusra-Front, sind die Streitmacht der Türkei, Saudi-Arabiens und Katars in Syrien. Es gab in Dscharablus Verhandlungen.“

Kurden wollen sich verteidigen

Der türkische Vorstoß, der einen Keil zwischen die von Kurden beherrschten syrischen Landesteile treibt, wurde von den westlichen Partnern zunächst nicht kritisiert. „Die Amerikaner wollen alle Parteien möglichst schwach halten“, meint Altun. Sowohl Türken als auch Amerikaner fordern, dass sich die syrischen Kurden östlich hinter den Euphrat zurückziehen, das heißt, Gebiete aufgeben, die sie jüngst erobert haben. „Die YPG wird das nicht tun“, so Altun.

Wenn die Türken weiter Richtung Süden vorstoßen, wird die Lage eskalieren. „Es gibt das Risiko einer Konfrontation. Der Militärrat von Manbidsch hat bereits erklärt, dass er sich verteidigen wird.“ Altun glaubt nicht, dass es der Türkei gelingen wird, das Projekt Rojava zu zerstören. „Es gibt keine unendliche Unterstützung für die kurdenfeindliche Politik der Türkei, weder bei den Amerikanern, noch bei den Russen.“

Krieg gegen die Zivilbevölkerung?

Wenige Tage nach dem Gespräch in den Bergen, nennt ein Sprecher des Pentagons die Auseinandersetzungen zwischen türkischen und kurdischen Kräften in Syrien erstmals „nicht akzeptabel“. Die PKK kündigt am gleichen Tag an, mehr Kämpfer zur Unterstützung der YPG zu schicken.

Syrien ist nicht das einzige Schlachtfeld. In der Türkei führt die Regierung seit Sommer 2015 einen Krieg gegen die PKK und – wie Altun sagt – gegen die kurdische Zivilbevölkerung. Das erklärte Ziel: Die endgültige Vernichtung der Organisation. Beide Seiten beschuldigen sich, verantwortlich für die Eskalation zu sein und liefern sich heftige Gefechte. Die türkische Armee setzt ihre Luftwaffe und Panzer ein, in manchen kurdischen Städten sehen ganze Straßenzüge so aus, als befänden sie sich in einer syrischen Bürgerkriegsstadt.

Bereitschaft zum Waffenstillstand

Kürzlich hatte die PKK ihre Bereitschaft zu einem Waffenstillstand erklärt. Die türkische Regierung sei darauf nicht eingegangen, sagt Altun. „Die Türkei hat ein Massaker begangen als Antwort auf eine ausgestreckte Hand“, so der PKK-Kommandant. Er meint damit den Bombenanschlag auf eine Hochzeitsgesellschaft in Gaziantep Mitte August, bei dem 54 Kurden starben. Ankara hat für das Attentat den „Islamischen Staat“ verantwortlich gemacht.

Die PKK glaubt das nicht. „Wir haben keine Alternative, als zu kämpfen. Wir werden unseren Kampf ausweiten“, sagt Altun. Kurze Zeit später verschwindet er mit seinen Leibwächtern wieder in den Bergen.

Auf der Rückfahrt ein Stopp an einem Friedhof der PKK. Mehr als 400 Kämpfer sind hier beerdigt. Die meisten Toten fielen im Kampf gegen die türkische Armee. Ein ganzes Gräberfeld ist aber neu. Hier liegen die PKK-Milizionäre, die im Kampf gegen Daesh gefallen sind. Es sind fast 50 Gräber.