Paris. Der Mörder von Saint-Étienne-du-Rouvray war als Dschihad-Kämpfer den Behörden bekannt. Auch eine Fußfessel konnte ihn nicht stoppen.

Als „eine Gotteslästerung, ein Sakrileg“ brandmarkte Dalil Boubakeur, Rektor der Moschee von Paris, am Mittwoch die grausame Ermordung des 86-jährigen katholischen Priesters Jacques Hamel in der normannischen Kleinstadt Saint-Étienne-du-Rouvray. Aber auch der hoch geachtete Repräsentant der großen islamischen Gemeinde Frankreichs hatte keine Antwort auf die Frage: Wie kann ein 19-Jähriger, der aus einer integrierten Familie algerischer Einwanderer stammt, so fanatisiert werden und sich zu solch barbarischer Grausamkeit versteigen?

Vom Haus der Eltern liegt der Anschlagsort nicht weit entfernt

Fest steht, dass es Adel Kermiche von dem Haus seiner Eltern nicht weit hatte zum Ort seiner Gräueltat. Fest steht auch, dass die Justizbehörden Kermiche nicht für gefährlich gehalten haben, obwohl er als Anhänger der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) bekannt war. Die dem IS nahestehende Nachrichtenagentur Amak veröffentlichte am Mittwoch ein Video, das Kermiche und seinen Komplizen zeigen soll. Darin bekennen sich zwei Männer zu dem Anschlag am Dienstag in der Normandie. Sie erklären zudem, dem Anführer der Extremisten-Miliz Islamischer Staat (IS) die Treue geschworen zu haben. Ob es sich tatsächlich um die beiden Täter handelte, konnte zunächst nicht geprüft werden.

Schon der für ihn zuständige Untersuchungsrichter hatte Schwierigkeiten, sich Kermiche als potenziellen Terroristen vorzustellen. Das sieht in seinem Bekanntenkreis nicht anders aus. „Er war für mich wie ein kleiner Bruder“, erzählt Christian, ein Nachbar: „Aber wenn ich mit ihm über seine Probleme sprechen wollte, ist er stets ausgewichen“. Christian wusste wie die meisten in der Nachbarschaft, dass Kermiche im vergangenen Jahr zweimal versucht hatte, nach Syrien in den Dschihad zu ziehen. Das erste Mal wurde er in Deutschland abgefangen und unter Hausarrest gestellt. Keine zwei Monate später wird der Junge an der türkisch-syrischen Grenze erneut festgenommen und in Frankreich in Untersuchungshaft genommen.

Richter entließen den späteren Attentäter aus der Haft

Im März entschied ein Untersuchungsrichter, Kermiche „wegen seines Alters“ bis zu seinem Prozess erneut in den Hausarrest zu entlassen. Diesmal unter Auflagen. So musste der Jugendliche eine elektronische Fußfessel tragen, durfte sich an Werktagen nur zwischen 9.30 und 12.30 Uhr von seinem Elternhaus entfernen und hatte sich einmal pro Woche bei der Polizei zu melden.

Deshalb lösten Kermiches elektronische Fußfesseln keinen Alarm aus, als er sich am Dienstagmorgen zur Kirche Saint-Étienne begab, die er um 9.45 Uhr durch den Hintereingang betrat. Wie sein am Mittwochmittag noch nicht identifizierter Komplize war er mit einem Messer bewaffnet und trug eine Sprengstoffgürtelattrappe.

Einer der beiden hatte außerdem einen funktionsuntüchtigen Revolver dabei. Für die Ermittler deutet das eindeutig darauf hin, dass beide Täter fest entschlossen waren, nach ihrer vorsätzlichen Bluttat die tödlichen Schüsse der Polizei zu provozieren und als Märtyrer zu sterben. (mit rtr)