Berlin. Der Verfassungsschutz stellt fest: Trotz des Atomvertrags versucht Teheran, Nuklearmaterial zu beschaffen – auch etwa in Deutschland.

Es hört nicht auf. Trotz eines internationalen Abkommens versucht der Iran weiter, in Deutschland illegal Kenntnisse und Material für den Bau von Atomwaffen zu erlangen. Auf Anfrage unserer Redaktion wollte ein Sprecher des Kölner Bundesamts für Verfassungsschutz am Dienstag lediglich einen „Rückgang der Spionageversuche“ im Jahr 2016 bestätigen. Ob die Beschaffungsversuche ganz aufhörten, „bleibt bis Jahresende abzuwarten“.

Die Skepsis ist groß im Bundesamt, das für die Spionageabwehr zuständig ist. In Köln wird nicht mit einem Kurswechsel des Teheraner Regimes gerechnet. Im Jahresbericht 2015, der in der vergangenen Woche vorgestellt wurde, stellte das Amt fest, es seien „weiterhin intensive Beschaffungsaktivitäten des Iran unter Nutzung konspirativer Methodik in Deutschland zu erwarten“.

Beschaffungsversuche auf einem „hohen Niveau“

Zwar hatten sich das Mullah-Regime und die Staatengemeinschaft vor zwölf Monaten – am 14. Juli 2015 – nach fast zweijährigen Verhandlungen auf einen Vertrag geeinigt. Darin stimmte der Iran auch erheblichen Beschränkungen und Kontrollen des Nuklearprogramms zu, doch in der Praxis änderte sich bislang wenig. Im Verfassungsschutzbericht heißt es, die „festgestellten illegalen iranischen Beschaffungsversuche in Deutschland befanden sich 2015 weiterhin auf einem auch im internationalen Vergleich quantitativ hohen Niveau“. Die gelten vor allem Gütern, die in der Nukleartechnik eingesetzt werden könnten. Das Amt konstatierte auch im Bereich des Trägertechnologieprogrammes – im Klartext: Raketentechnik – „eine steigende Tendenz der ohnehin schon erheblichen Beschaffungsbemühungen“.

Der Hinwies auf die Raketen zeigt, worum es geht: Nicht um um Spionage im klassischen Sinne – Geheimnisverrat –, sondern um den Ankauf von militärisch nutzbaren Gütern, deren Export nicht genehmigt wird. Um die strengen Auflagen zu umgehen, nutzt der Iran die Mittel der Geheimdienste, etwa Tarnfirmen, um die Zieladresse zu verschleiern.

SPD-Außenpolitiker: Iran verhält sich vertragsgetreu

Über die Gründe kann man nur spekulieren. Womöglich will man das Atomwaffenprogramm heimlich fortsetzen, wobei bisher keine Verstöße festgestellt werden konnten, wie der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Jürgen Hardt, weiß. Vielleicht will der Iran nur auf dem Stand der modernsten Militärttechnik bleiben. Da ihm dies legal verwehrt bleibt, versucht er es mit Spionagemitteln. Die Saat des Zweifels ist jedenfalls gesät. Hardt rief zur Wachsamkeit gegenüber allen Versuchen auf, das Abkommen zu unterlaufen. Hardt sagte unserer Redaktion, „sollten die Ermittlungen des Verfassungsschutzes tatsächlich strafbare Handlungen ergeben, die auf den iranischen Staat zurückzuführen sind, kann dies nicht ohne Konsequenzen bleiben.“ Eine Wiedereinsetzung der Sanktionen schloss der Christdemokrat ausdrücklich nicht aus.

Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich spricht von einer „Rückschau“, die zwar zutreffend sei. Doch sei sein Eindruck, „dass der Iran sich derzeit vertragsgetreu verhält und die Auslandsaktivitäten zurückgefahren hat“, sagte Mützenich unserer Redaktion. Zurückgefahren – aber nicht eingestellt.

Die Erkenntnisse der Spionageabwehr passen so gar nicht zur regierungsamtlichen Linie und müssen für Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) enttäuschend sein. Als im Januar 2016 die Aufhebung der Sanktionen begann, stellte der Sozialdemokrat den „Implementation Day“ als Wendepunkt dar. „Heute können wir mit Recht von einem historischen Erfolg der Diplomatie sprechen. Auch für mich persönlich ist das ein großer Moment“, jubelte er.

Israelis fühlen sich bestätigt

Bestätigt fühlen sich die Israelis. Sie hatten stets davor gewarnt, dem Iran zu vertrauen. Hardt mahnt, Vertrauen in die Ehrbarkeit der iranischen Motive entstehe nicht allein durch die Unterschrift. „Der Iran wird erst dann ein vollwertiger Partner der internationalen Völkergemeinschaft sein können, wenn er von jeglichen Versuchen der Beschaffung von Atomwaffen absieht.“

Blauäugig war die internationale Staatengemeinschaft indes nicht. Der „Implementation Day“ im Januar 2016 markierte nur den Anfang vom Ende der Sanktionen. Es liegt ein Aktionsplan vor, der einen konkreten Ablauf vorgibt. Am sogenannten Adoption Day, dem 18. Oktober 2015, traten die Verpflichtungen in Kraft. Erst am „Implementation Day“ im Januar bestätigte die Atomenergie-Behörde der Vereinten Nationen, dass der Iran tatsächlich alle Auflagen einhält. Aber das Waffenembargo bleibt bis zum sogenannten Transition Day im Jahr 2023 bestehen. Mit der vollständigen Aufhebung aller UN-Strafen ist erst zwei Jahre später zu rechnen, im offiziellen Jargon mit dem „Termination Day“. Bis dahin bleiben die Iraner auf dem Radarschirm des Verfassungsschutzes – und wohl auch noch danach.