Brasília. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff droht die Amtsenthebung. Am Sonntagabend verlor sie eine wichtige Parlamentsabstimmung deutlich.

Es könnte der Anfang vom Ende der Präsidentschaft Dilma Rousseffs sein: Mehr als die erforderlichen zwei Drittel der Abgeordneten im brasilianischen Parlament sprachen sich am Sonntag dafür aus, ein Amtsenthebungsverfahren gegen die Linkspolitikerin einzuleiten. Die Regierung hatte bis zuletzt versucht, einzelne Abgeordnete auf ihre Seite zu ziehen.

Der Senat kann Rousseff nun als nächsten Schritt Ende April für zunächst 180 Tage suspendieren. Geschieht das, könnte Rousseff zum Beispiel auch nicht die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro am 5. August eröffnen.

Entscheidung zog sich stundenlang hin

Es kam zu frenetischem Jubel der Gegner von Rousseff im Parlament, als die entscheidende 342. Ja-Stimme am späten Sonntagabend (Ortszeit) erreicht worden war. Jeder Abgeordnete erläuterte in einem kurzen Statement sein Votum, die emotionale Abstimmung dauerte bis zur entscheidenden Stimmabgabe des Abgeordneten Bruno Araújo bereits über fünf Stunden.

Mit dem Votum wird der juristische Prozess eröffnet, der Senat muss nun eine Kommission bilden und kann dann mit einfacher Mehrheit Rousseff für 180 Tage suspendieren, dieses Votum wird nicht als große Hürde angesehen. In dieser Zeit würden die Vorwürfe juristisch geprüft.

Der Präsidentin werden Tricksereien vorgeworfen

Ihr würde Vizepräsident Michel Temer (75) nachfolgen, der Chef der Partei der demokratischen Bewegung (PMDB) ist, die mit der Regierung gebrochen hat. Temer ist aber weiterhin Vizepräsident, damit er Rousseff beerben kann.

Bei den Vorwürfen gegen sie geht zu einen um Tricksereien beim Haushalt – vor allem bei der Finanzierung von Programmen wie der Familiensozialhilfe „Bolsa Familia“ über öffentliche Banken. Zum anderen um Kreditvergaben ohne grünes Licht des Kongresses.

Im Oktober könnte Rousseff ihr Amt los sein

Bis Oktober könnte der Senat sie mit Zwei-Drittel-Mehrheit endgültig des Amtes entheben. Bisher gab es solch ein Verfahren erst einmal. 1992 wurde Fernando Collor de Mello nach Korruptionsvorwürfen für 180 Tage suspendiert – und trat am Ende schließlich selbst zurück.

Zu Beginn des Abstimmungsprozesses gab es tumultartige Szenen in der Hauptstadt Brasília. Es kam im Abgeordnetenhaus zu lauten „Arbeiterpartei raus“-Rufen und Wortgefechten zwischen Gegnern und Anhängern der Präsidentin von der linken Arbeiterpartei (PT).

Menschen auf den Straßen feiern die Abstimmung

Abgeordnete der PT riefen: „Es darf keinen Putsch geben“. Sie zeigten ein Banner „Weg mit Cunha“ – Parlamentspräsident Eduardo Cunha hatte das Verfahren gegen Rousseff federführend initiiert, obwohl ihm die Annahme von fünf Millionen Dollar Schmiergeld vorgeworfen wird.

Nachdem klar war, dass deutlich die Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht werden wird, kam es zu Feuerwerk und Autokorsos, zuletzt lag die Zustimmung zu der Politikerin der Arbeiterpartei nur noch bei zehn Prozent. An Orten wie der Copacabana in Rio de Janeiro verfolgten die Menschen per Public Viewing die aufgeheizte Abstimmung im Parlament.

Auch Vorgänger Lula da Silva unter Korruptionsverdacht

Den Niedergang Rousseffs beschleunigt hatte die Berufung von Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva zu ihrem Kabinettschef: Ein Bundesrichter legte sein Veto ein, da Lula im Regierungsamt wesentlich besser vor möglicher Untersuchungshaft geschützt wäre – ihm wird die Begünstigung durch einen Baukonzern bei einer Immobilie an der Atlantikküste vorgeworfen.

Was als Befreiungsschlag und zur Stärkung ihrer Regierung gedacht war, endete in wütenden Protesten dagegen, dass Rousseff Lula nur vor der Justiz schützen wolle.

Die Konjunktur ist eingebrochen

Daneben hat der parteiübergreifende Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Petrobras-Konzern den Widerstand verschärft, ebenso die tiefe Rezession. Die Wirtschaft brach 2015 um 3,8 Prozent ein, die Arbeitslosenzahl ist auf 9,6 Millionen gestiegen.

Die Regierung bekam zuletzt kaum noch Reformen durchgesetzt – weil die einstige Neun-Parteien-Koalition zerbröselt ist. Da aber auch Temer wenig Vertrauen genießt, wurde zuletzt der Ruf nach Neuwahlen immer lauter. (dpa)