Mexiko Stadt. Brasiliens Präsidentin droht am Sonntag abgewählt zu werden. Beobachter haben sich schon festgelegt, ob es zur Amtsenthebung kommt.

Der Showdown ist programmiert. Am Sonntagnachmittag (Ortszeit) entscheidet sich das Schicksal von Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff und damit auch die mittelbare Stabilität des größten und wichtigsten Landes Lateinamerikas. Das Abgeordnetenhaus in Brasilia stimmt darüber ab, ob sich Rousseff einem Amtsenthebungsverfahren stellen muss. Gut 100 Tage vor Beginn der Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro ist somit weiter unklar, wer denn am 5. August das globale Sportlertreffen eröffnen wird.

Derzeit ist wenig, wahrscheinlich, dass es Rousseff sein wird. Die Chancen der sozialdemokratischen Präsidentin der linksliberalen Arbeiterpartei PT auf ein politisches Überleben stehen schlecht. Auch ein letzter Strohhalm half Rousseff nicht. Die Regierung hatte am Donnerstag beim Obersten Gericht Antrag auf Annullierung des Amtsenthebungs-Verfahrens gestellt. Es sei mit „Mängeln“ behaftet, welche die „Prinzipien eines gerechten Prozesses und des Rechts auf Verteidigung verletzen“, argumentierte Generalstaatsanwalt José Eduardo Cardozo. Zudem führten die Gegner Beweise ins Feld, die Rousseffs vorherige Amtszeit beträfen, monierte der Generalstaatsanwalt. In der Nacht zum Freitag aber lehnte das Gericht mit acht zu zwei Richterstimmen die Einstweilige Verfügung ab.

Stimmverhältnisse sprechen gegen Rousseff

Die Ernüchterung im Regierungslager war groß, denn nun ist die sich abzeichnende Niederlage im Unterhaus am Sonntag kaum noch zu verhindern. Mitte der Woche waren mit der Fortschrittspartei (PP) und der Republikanischen Partei (PRB) noch mal zwei Parteien aus der Linkskoalition ausgeschert. Und es gilt als sicher, dass die 69 Abgeordneten jetzt für ein Amtsenthebungsverfahren stimmen und damit der regierenden PT kaum noch Chancen lassen, den Sturz von Rousseff zu verhindern. Diese braucht 173 der 513, also ein Drittel der Abgeordneten, um das Impeachment im Unterhaus zu stoppen.

Die PT verfügt selbst aber nur über 59 Sitze und ihre verbliebenen Verbündeten über rund 40 Mandate. Die führenden konservativen Tageszeitungen „Folha de São Paulo“ und „Globo“ führen mit dezentem Triumph bereits eigene Zählungen bei den Parlamentariern durch. Demnach gibt es 336 sichere Befürworter für das Impeachment.

Politische Zukunft von Rousseff wäre nach Abwahl offen

Damit müssten von den unentschiedenen Parlamentariern gerade noch mal sechs für die Amtsenthebung stimmen. Denn dafür sind in der Abgeordnetenkammer zwei Drittel der Stimmen, also 342 Abgeordneten, notwendig. Sollte das Quorum erreicht werden, wird der Antrag auf Amtsenthebung dem Senat vorgelegt. Dort reicht die einfache Mehrheit, um dem Impeachment zuzustimmen und Rousseff zunächst für 180 Tage vom ihren Funktionen zu entbinden. In der Zeit werden dann die eigentlichen Vorwürfe geprüft. Aber politische Beobachter sind sich sicher, dass Rousseff nicht wieder ins Amt zurückkommt, sollte der Senat sie in die sechsmonatige Zwangspause schicken. Dafür ist die Präsidentin zu sehr geschwächt, die Bevölkerung zu sehr gegen sie und die Stimmung in Brasilien insgesamt zu aufgeheizt. Rousseffs Nachfolger würde Vizepräsident Michel Temer von der rechtsliberalen Partei der Demokratischen Bewegung (PMDB), die erst kürzlich aus der Regierungskoalition ausgeschieden war.

Rousseff wird beschuldigt, vor ihrer Wiederwahl 2014 das wahre Ausmaß des Staatsdefizits verschleiert und die Haushaltsbilanzen manipuliert zu haben. Die Präsidentin habe zudem fiskalpolitische Dekrete erlassen, die nicht von der Verfassung gedeckt waren. Im Vergleich mit den zum Teil monströsen Bestechungsvorwürfen und Anschuldigungen wegen persönlicher Bereicherung gegen Hunderte von brasilianischen Politikern wiegen die Vorwürfe gegen die Präsidentin gering. Sozialwissenschaftler, Juristen und Politiker streiten darum, ob das Verfahren gegen Rousseff überhaupt legitim ist. Die Gegner sehen keine tragfähigen Gründe für das Impeachment und sprechen von einem kalten Putsch.