Shanghai. Bundespräsident Gauck hat in China ungewohnt offen über eine mögliche zweite Amtszeit gesprochen. Vieles spricht für einen Verzicht.

Macht Bundespräsident Joachim Gauck nächstes Jahr weiter mit einer zweiten Amtszeit? Bislang hält er sich bedeckt. Doch am Rande seines Staatsbesuchs in China ließ er sich am Mittwoch ein wenig in die Karten gucken: Gauck hat sich bereits entschieden – und spricht offen über die Grenzen seiner Kräfte. Vorerst aber hat er noch viel zu sagen: In Schanghai kritisierte der Präsident das Herrschaftssystem der chinesischen Kommunisten in einer klugen Rede ungewöhnlich scharf.

Gauck hat gerade seinen Vortrag an der Tongji-Universität in Schanghai beendet, jetzt will er mit Studenten und Professoren diskutieren. Doch seine Gesprächspartner interessieren sich mehr für aktuelle Fragen der deutschen Innenpolitik. Gleich einer der ersten Fragesteller will wissen, ob sich der Bundespräsident 2017 der Wahl für eine zweite Amtszeit stellen würde.

Die Zeit für eine Erklärung des Staatsoberhaupts drängt

Gauck lacht, er kennt die Frage sonst nur von deutschen Journalisten, dann legt er fern der Heimat doch los – und wird ungewöhnlich offen: „Wenn Sie mit mir allein beim Bier säßen, würde ich es Ihnen sagen“, erklärt Gauck. Er weiß es also schon, das ist neu: Die bisherige Darstellung, der Präsident habe sich noch nicht entschieden und wäge ab, ist demnach überholt.

„In ein paar Wochen oder Monaten werde ich es der Öffentlichkeit sagen“, erläutert Gauck. Es gibt Hinweise, dass es schon kurz nach Ostern so weit ist. Der Druck steigt: Im Februar 2017 wird der nächste Präsident gewählt, Gaucks Vorgänger haben in der Regel ein Jahr vor einer möglichen Wiederwahl über ihre Pläne Auskunft gegeben. Und er? Richtig klar ist es noch nicht, Gauck legt auch falsche Fährten, aber viel spricht jetzt für einen Verzicht auf die zweite Amtszeit, zu dem ihm auch im Familienkreis geraten wird.

Es sei ein „schönes Gefühl“, dass er von einem Teil der Bürger zum Weitermachen ermuntert werde, erzählt Gauck dem kleinen Kreis weiter. Das sei zu bedenken. Doch der Präsident fügt hinzu: „Man muss auch die physischen und psychischen Kräfte in Rechnung stellen.“ Er ist im Januar 76 Jahre alt geworden, am Ende einer zweiten Amtszeit wäre er 82 Jahre. Beim fünftägigen Staatsbesuch sind ihm mitunter die Strapazen anzumerken.

Geschickte Kritik am kommunistischen System

Und: Wiederholt spricht er hier in China schon über seine Zeit als Privatier. „Wir kommen als Privatpersonen wieder“, sagt er Hand in Hand mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt, als er seine Kurzvisite in den Gartenanlagen des Sommerpalasts in Peking beenden muss. Und auch beim Rundgang durch die Verbotene Stadt erklärt er zum Schluss, privat werde er sich beim nächsten Mal mehr Zeit nehmen. Eine nette Geste, einerseits. Aber warum unbedingt privat? Er könnte ja auch als Staatsoberhaupt ein weiteres Mal nach China kommen. Horst Köhler ist in sechs Präsidentenjahren dreimal nach China gereist.

Bundespräsident Gauck zu Besuch in China

Die Ankunft: Bundespräsident Joachim Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt verlassen in Peking ihr Flugzeug.
Die Ankunft: Bundespräsident Joachim Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt verlassen in Peking ihr Flugzeug. © dpa | Wolfgang Kumm
Das freundliche Begrüßungskomitee: Kinder mit Blumen.
Das freundliche Begrüßungskomitee: Kinder mit Blumen. © dpa | Wolfgang Kumm
Chinesische Soldaten formierten sich für den Bundespräsidenten zum Ehrenspalier.
Chinesische Soldaten formierten sich für den Bundespräsidenten zum Ehrenspalier. © dpa | Wolfgang Kumm
Am zweiten Tag seines Besuchs besichtigte Joachim Gauck den Sommerpalast in Peking.
Am zweiten Tag seines Besuchs besichtigte Joachim Gauck den Sommerpalast in Peking. © dpa | Wolfgang Kumm
Es warten nicht nur angenehme Gespräche auf den Bundespräsidenten: Von dem ehemaligen Bürgerrechtler wird auch erwartet, dass er die Menschenrechtslage in der Volksrepublik anspricht.
Es warten nicht nur angenehme Gespräche auf den Bundespräsidenten: Von dem ehemaligen Bürgerrechtler wird auch erwartet, dass er die Menschenrechtslage in der Volksrepublik anspricht. © dpa | Wolfgang Kumm
Zaungäste: Der Bundespräsident zog in Peking jede Menge Schaulustige an.
Zaungäste: Der Bundespräsident zog in Peking jede Menge Schaulustige an. © dpa | Wolfgang Kumm
Insgesamt fünf Tage sind Joachim Gauck und Daniela Schadt zu Besuch in China.
Insgesamt fünf Tage sind Joachim Gauck und Daniela Schadt zu Besuch in China. © dpa | Wolfgang Kumm
Am Montagnachmittag traf Joachim Gauck den chinesischen Premierminister Li Keqiang.
Am Montagnachmittag traf Joachim Gauck den chinesischen Premierminister Li Keqiang. © dpa | Wu Hong / Pool
In der Großen Halle des Volkes debattierte Gauck mit chinesischen Spitzenpolitikern.
In der Großen Halle des Volkes debattierte Gauck mit chinesischen Spitzenpolitikern. © dpa | Wu Hong/Pool
„Ich komme in einer Zeit, in der es wichtig ist, bestehende Brücken auszubauen und die Beziehungen zu vertiefen“, sagte Gauck.
„Ich komme in einer Zeit, in der es wichtig ist, bestehende Brücken auszubauen und die Beziehungen zu vertiefen“, sagte Gauck. © REUTERS | POOL
Bei der Willkommenszeremonie vor der Großen Halle des Volkes traf Gauck auf Chinas Präsidenten Xi Jinping.
Bei der Willkommenszeremonie vor der Großen Halle des Volkes traf Gauck auf Chinas Präsidenten Xi Jinping. © REUTERS | JASON LEE
Beinahe überall in Peking wurde der Bundespräsident mit der deutschen Flagge empfangen.
Beinahe überall in Peking wurde der Bundespräsident mit der deutschen Flagge empfangen. © REUTERS | JASON LEE
Auch chinesische Schulkinder empfingen den Bundespräsidenten. Gauck und Xi Jinping eröffneten ein „Jahr des Jugendaustausches“, um die Begegnungen von Schülern und Studenten zu intensivieren.
Auch chinesische Schulkinder empfingen den Bundespräsidenten. Gauck und Xi Jinping eröffneten ein „Jahr des Jugendaustausches“, um die Begegnungen von Schülern und Studenten zu intensivieren. © dpa | How Hwee Young
Sichtlich erfreut waren die Kinder über den hohen Besuch aus Deutschland.
Sichtlich erfreut waren die Kinder über den hohen Besuch aus Deutschland. © REUTERS | JASON LEE
Gauck diskutierte später unter anderem über die ökonomischen Beziehungen beider Länder, stellte aber auch kritische Fragen zur Menschenrechtslage.
Gauck diskutierte später unter anderem über die ökonomischen Beziehungen beider Länder, stellte aber auch kritische Fragen zur Menschenrechtslage. © REUTERS | POOL
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Im Februar hieß es, Gauck wolle vor einer Entscheidung abwarten, wie sich die innenpolitische Situation in der Flüchtlingskrise entwickele. Sollte es mit dem Aufstieg der AfD unruhiger werden, wollte der Präsident mit seinem Rückzug nicht zusätzliche Unruhe schaffen. Doch seine größten Sorgen sind wohl vorüber. Jetzt versichert er auf eine Frage der Chinesen zum Rechtspopulismus, Deutschland sei stabil. „Man muss sich über die Demokratie in Deutschland keine Sorgen machen“, erklärt Gauck. Aber die Politiker müssten sich anstrengen und den Bürgern zeigen, dass die Demokratie handlungsfähig sei, „und dass wir der Europa-Idee treu bleiben. Das ist die Aufgabe der Politik jetzt bei uns.“

Gauck will keine Prognose über die Entwicklung der AfD abgeben, doch äußert er ausdrücklich Bedenken: „Wir hatten ein ziemlich stabiles Parteiengefüge – wenn es sich jetzt neu einzurichten hat auf eine Kraft rechts von der Union, wird das in Deutschland manche Reibung verursachen.“

Diplomatisch ermahnt er die chinesische Führung

Das „Unangenehme“ sei, dass die AfD Zweifel daran säen könne, dass dieses Projekt Europa überhaupt gelingen kann. „Die deutschen Politiker haben über Jahrzehnte der Europa-Idee gedient. Wenn jetzt die demokratischen Parteien selber in Zweifel geraten würden, ob es richtig sei, die Europa-Idee so stark zu vertreten, das wäre ein nachhaltiger politischer Schaden.“ Starke Worte. Dabei hat der Präsident in der Universität in Schanghai eigentlich eine ganz andere Botschaft. In seiner Rede übt er so offen wie geschickt Kritik am kommunistischen Herrschaftssystem. Gauck erzählt von seinen Erfahrungen in der DDR. Es klingt, als berichte ein älterer Herr von früheren Zeiten – doch Gauck zielt, für die Zuhörer unschwer zu verstehen, mit jedem Satz in die kommunistische Gegenwart Chinas.

Die DDR habe ihre Bürger entmündigt, „dem ganzen System fehlte eine tatsächliche Legitimation.“ Eine freie und geheime Wahl habe es nicht gegeben. „Die Folge war ein Glaubwürdigkeitsdefizit, verbunden mit einer Kultur des Misstrauens zwischen Regierten und Regierenden.“ An der Rede hat Gauck lange gefeilt, er will bei aller Diplomatie unmissverständlich in seiner Kritik sein. Gauck verweist auf den deutschen Weg in Demokratie und soziale Marktwirtschaft, dann folgen messerscharfe Sätze: „Das menschliche Verlangen nach Freiheit bricht sich immer wieder Bahn. Aus diesem Grund können individuelle Freiheitsrechte nicht dauerhaft durch materielle Güter oder sozialen Status ersetzt werden“.

Das ist eine massive Warnung an die chinesische Führung, deren Macht einzig am Versprechen hängt, für den wirtschaftlichen Aufstieg der Bürger zu sorgen. Gauck ist nach seinem 40-minütigen Vortrag erleichtert, er hofft auf eine Diskussion mit der kleinen Runde von Studenten und Professoren. Doch die wollen mit dem Staatsgast lieber über deutsche Probleme reden – und über seine Zukunftspläne.