Kairo. Fünf Jahre nach Beginn des syrischen Bürgerkriegs keimt Zuversicht – erstmals wird verhandelt und gleichzeitig schweigen die Waffen.

Die syrische Tragödie ist in Horrorziffern erstarrt, der angerichtete Schaden ins Unermessliche gestiegen. 300.000 Menschen kamen bisher in den fünf Bürgerkriegsjahren um, 1,9 Millionen sind verletzt, 500.000 in Hungerenklaven gefangen. Nach dem Urteil internationaler Hilfsorganisationen waren die letzten zwölf Monate bisher die schlimmsten. Die statistische Lebenserwartung sank von 70 auf heute 55 Jahre. Weit mehr als die Hälfte der einst 23 Millionen Syrer ist auf der Flucht – das größte humanitäre Desaster seit dem Zweiten Weltkrieg.

Hundertausende Leben wurden abrupt unterbrochen und aus der Bahn geworfen. Drei Millionen Kinder haben jahrelang keine Schule mehr gesehen – Unicef spricht von einer verlorenen Generation. Die Zerstörungen haben das Mittelmeerland um drei Jahrzehnte zurückgeworfen. Experten der Vereinten Nationen schätzen die Wiederaufbaukosten auf mehr als 200 Milliarden Dollar, das Dreifache des jährlichen Bruttosozialprodukts Syriens vor dem Krieg. Genauso verheerend ist der immaterielle Schaden – die politischen, sozialen, kulturellen und religiösen Verwüstungen der unglücklichen Nation.

Anti-Assad-Proteste auf ausgebombten Straßen

Und dennoch glimmt in dieser Woche erstmals ein Funken Hoffnung. Die vor zwei Wochen ausgerufene Waffenruhe hält im Großen und Ganzen – punktgenau zum fünften Jahrestag des Massenmordens der bisher wichtigste diplomatische Erfolg. Und kaum schweigen die Waffen, versammeln sich die Menschen wieder auf ihren ausgebombten Straßen. Tausende nutzen die Atempause, um erneut – wie in den Anfangstagen im Frühjahr und Sommer 2011 – friedlich gegen das Regime von Bashar al-Assad zu demonstrieren und ihre Rechte gewaltfrei einzufordern. Die Revolution geht weiter, skandierten die Syrer an mehr als hundert Orten, während ihr Diktator nach wie vor jedes Aufbegehren als Revolte von Terroristen gegen sein säkulares Regime denunziert – eine PR-Strategie, an der er bis zum heutigen Tag völlig unbeirrt festhält.

UN-Vermittler Staffan de Mistura hat in Genf die erste Verhandlungsrunde am Montag unter seiner Regie auf zehn Tage angesetzt. Gleichzeitig startete er offiziell den im letzten November in Wien international vereinbarten 18-monatigen Fahrplan für einen politischen Übergang. Bis spätestens Mitte September 2017 muss Syrien unter UN-Aufsicht ein neues Parlament und einen neuen Präsidenten wählen, der die Macht von Diktator Assad übernimmt. Um diese Absicht zu unterlaufen, rief das Regime in Damaskus bereits für Mitte April neue Parlamentswahlen aus, ein dreister Alleingang, den das Hohe Verhandlungskomitee der Opposition als indiskutabel zurückwies und den de Mistura nun mit seinem international sanktionierten Terminplan unter wütenden Protesten der Assad-Getreuen beiseiteschob.

Auch Moskau hegt keine Sympathien für den Diktator

Denn das Regime in Damaskus tut alles, um Kompromisse zu vermeiden. Seine Mächtigen fühlen sich auf der Siegerstraße, sehen eine mögliche Rückeroberung der zweiten Metropole Aleppo unter der Deckung russischer Luftangriffe bereits zum Greifen nahe. Ähnlich starr agieren auch die regionalen Kontrahenten Türkei, Saudi-Arabien und Iran, die ihr Streben nach nahöstlicher Hegemonie nach wie vor auf syrischem Boden ausfechten wollen. Einzig die Vereinigten Staaten und Russland sind im Zusammenwirken mit Europa entschlossen, den Brandherd endlich auszutreten, auch wenn sie offiziell das Schicksal von Staatschef Assad bisher ausklammern.

Wie schnell und wie laut die Uhr für den Diktator und seine Regimegrößen tickt, hängt vor allem von Russland ab. Dass Assad auf Dauer nicht mehr zu halten ist, weiß man auch im Kreml. Zudem hegt Wladimir Putin keine sonderlichen Sympathien für den schlaksigen Augenarzt. Und so wird es den Russen vor allem darauf ankommen, die territoriale Gestalt und Führungsstruktur eines „brauchbaren Restsyriens“ im Westen abzustecken, mit dem sich seine strategischen Interessen im Mittelmeer möglichst gut bewahren lassen.

Angestrebt wird eine föderale Nachkriegsordnung

Im Osten des Landes dagegen sind beträchtliche Territorien an die radikalen Kriegsherren von „Islamischem Staat“ und „Al-Nusra-Front“ verloren gegangen, die mit den Ölquellen einen wichtigen Teil der vormaligen Staatseinnahmen kontrollieren. Die syrischen Kurden im Norden, die zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, sind faktisch autonom. Und so machen die in Genf versammelten internationalen Diplomaten keinen Hehl mehr daraus, dass sie für die nächsten Jahre eine föderale Struktur des kriegszerstörten Landes anstreben, welches möglicherweise niemals wieder zu einem intakten Nationalstaat zusammenfinden wird.

Die Genfer Schicksalswoche könnte erste Weichen stellen. Scheitern die Gespräche ein weiteres Mal, wird auch die fragile Waffenruhe bald kollabieren und die nächsten zehntausend Menschen mit in den Abgrund reißen. Kommt es dagegen erstmals zu substantiellen Gesprächen über den Weg in eine Nachkriegsordnung, könnte diese dritte Märzwoche als Wendepunkt in der syrischen Tragödie in die Geschichte eingehen.