Brüssel/Berlin. Wie viele Zugeständnisse wird die EU der Türkei machen, um die Flüchtlingkrise zu lösen? Unionsfraktionschef Kauder ist skeptisch.

Unionsfraktionschef Volker Kauder wertet den EU-Türkei-Gipfel als wichtigen Zwischenschritt hin zu einer Lösung in der Flüchtlingskrise. Der CDU-Politiker warnte im ARD-„Morgenmagazin“ allerdings davor, der Türkei in den EU-Verhandlungen zu viele Zugeständnisse zu machen. „Jetzt werden auch bei der Türkei nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen“, sagte er. Kauder betonte, bei den Verhandlungen mit Ankara dürften die Themen Menschenrechte und Religionsfreiheit nicht an letzter Stelle stehen.

Nach einem dramatischen Gipfelmarathon haben die EU-Staats- und Regierungschefs einen endgültigen Beschluss zu einem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei vertagt. Bis zum nächsten EU-Gipfel am 17. und 18. März bleibe noch Arbeit für eine endgültige Vereinbarung zu tun, bilanzierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach rund zwölfstündigen Beratungen in Brüssel.

Merkel spricht trotz Vertagung von Durchbruch

Beim eintägigen Gipfel mit dem türkischen Regierungschef Ahmet Davutoglu ging es um ein umfassendes Paket, um den Flüchtlingszustrom nach Europa einzudämmen. Dabei wurden zumindest einige Punkte grundsätzlich geklärt.

„Die Zeiten der irregulären Zuwanderung nach Europa sind vorüber“, fasste EU-Ratschef Tusk den Gipfel zusammen. Auch Kanzlerin Angela Merkel zeigte sich optimistisch, wenngleich sie sich vorsichtiger äußerte. Bei dem Treffen sei es gelungen, „die Perspektive zur Rückkehr zu geordneten Verhältnissen vorzuzeichnen“. Die CDU-Chefin zog eine positive Gipfel-Bilanz. „Viele waren sich einig, dass das ein Durchbruch ist.“

Türkei will illegal eingereiste Flüchtlinge zurücknehmen

Dabei hatte die Türkei die EU-Chefs zunächst mit weitgehenden Plänen überrascht: Ankara fordert eine Verdoppelung der Hilfszusagen der EU für in der Türkei lebende Flüchtlinge von drei auf sechs Milliarden Euro. Bis 2018 könnten die Mittel verdoppelt werden, berichtet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. In der Abschlusserklärung war nur von zusätzlichen Geldmitteln die Rede.

Das Angebot des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu sieht zudem vor, dass die EU alle illegal einreisenden Migranten von den griechischen Inseln wieder in die Türkei zurückschicken kann. Zugleich will die Türkei ebenso viele Migranten auf legalem Weg in die EU weitergeben. Unklar blieb, welche EU-Staaten die Tausenden von Menschen aufnehmen werden.

Tsipras und Davutoglu treffen sich in Izmir

Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras warnte allerdings vor überzogener Euphorie. Die Gipfel-Ergebnisse seien lediglich ein Schritt nach vorne, zahlreiche Schritte seien noch nötig. „Die heutigen Bilder aus Idomeni, von unserer nördlichen Grenze, sind tragisch.“ Dort sitzen Tausende Flüchtlinge an der mazedonischen Grenze fest.

Am Dienstag wollen Griechenland und die Türkei ihre Beratungen in der türkischen Hafenstadt Izmir fortsetzen. Der EU-Gipfel sei zu Ende gegangen, „es geht aber heute in Izmir weiter“, erklärte der griechische Regierungschef Alexis Tsipras im griechischen Fernsehen (ERT) am frühen Dienstagmorgen aus Brüssel.

Es werde seiner Ansicht nach „ein historisches Treffen“ mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu sein, bei dem die beiden Ägäis-Anrainerstaaten über die Aktualisierung des vor fast 15 Jahren abgeschlossenen bilateralen Abkommens über die Rückführung der Migranten reden werden. „Dieses Treffen könnte neue Wege öffnen, den Schleusern das Handwerk zu legen“, fügte Tsipras hinzu.

Debatte über Pressefreiheit in der Türkei

In der Debatte um Pressefreiheit in seinem Land sagte Davutoglu: „Die Meinungsfreiheit ist unser gemeinsamer Wert, und sie wurde und wird in der Türkei geschützt.“

Neben der regierungskritischen Zeitung „Zaman“ war auch die mit dem Blatt eng verbundene Nachrichtenagentur Cihan unter staatliche Zwangsaufsicht gestellt worden. Nach Angaben von Cihan ernannte das Istanbuler Gericht dieselben Treuhänder wie bei „Zaman“. Weder er noch seine Regierung hätten darauf Einfluss gehabt, sagte Davutoglu. Das Thema Medienfreiheit wurde beim Gipfel debattiert, so Tusk. „Wir wissen alle, wie wichtig Freiheit der Rede und Meinungsfreiheit sind.“

Davutoglu fordert Visa-Erleichterungen

Die Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei sieht Merkel weiter als ergebnisoffen. „Die Beitrittsfrage stellt sich derzeit nicht“, sagte sie zur Aussicht für Ankara auf beschleunigte Verhandlungen.

Laut Davutoglu haben die EU-Staaten rasche Visaerleichterungen für türkische Staatsbürger bereits grundsätzlich akzeptiert. „Wir hoffen, dass spätestens Ende Juni türkische Bürger ohne Visum in die Schengenzone reisen können.“ Bevor die Erleichterungen kommen können, müssen in der EU noch mehrere Hürden genommen werden, betonte EU-Parlamentschef Martin Schulz.

„Eins-zu-Eins“-Formel als Lösung der Krise?

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte, die EU werde künftig auch unerlaubt einreisende Syrer wieder in die Türkei zurückschicken können. Damit die Türkei mit der Last nicht alleine bleibe, müsse die EU aber für jeden von den griechischen Inseln zurückgebrachten Syrer einen syrischen Bürgerkriegsflüchtling auf legalem Weg aufnehmen. Diplomaten sprachen von der „Eins-zu-Eins“-Formel.

Entgegen der ursprünglich vorbereiteten EU-Gipfelerklärung wird die Balkanroute nicht mehr als geschlossen bezeichnet. „Irreguläre Ströme von Migranten entlang der Route des westlichen Balkans müssen nun enden“, heißt es in dem Abschlusstext. Vor allem Deutschland und Griechenland wandten sich gegen den Textvorschlag, die Route für „geschlossen“ zu erklären.

Der Gipfel kündigte auch an, Griechenland bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise zu helfen. Dort sind wegen der blockierten Balkanroute Zehntausende Menschen gestrandet. Die EU-Kommission hatte bereits eine Nothilfe von bis zu 700 Millionen Euro vorgeschlagen. (dpa)