Athen. Da weniger Flüchtlinge über den Balkan reisen können, spitzt sich die Lage in Athen zu. Die Hilfsbereitschaft bei den Bürgern ist groß.

Die Flüchtlingskrise wird zu einer immer größeren Zerreißprobe für die Europäische Union. Nachdem Österreich und weitere neun Länder am Mittwoch auf der Westbalkankonferenz eine weitere Abschottung ihrer Grenzen beschlossen, fürchtet die griechische Regierung einen Flüchtlingsstau. „Wir werden nicht zulassen, dass sich unser Land in ein Lager für Menschen verwandelt“, warnte Ministerpräsident Alexis Tsipras am Mittwochabend im Parlament. Griechenland werde in der EU „keinem Abkommen mehr zustimmen, wenn die Last und die Verantwortung nicht im richtigen Verhältnis geteilt werden“, sagte Tsipras. Im Klartext: Athen könnte mit seinem Veto alle Entscheidungen der EU, die Einstimmigkeit erfordern, blockieren.

Besonders empört ist man in Athen, dass Griechenland zu der von Österreich initiierten Konferenz nicht eingeladen wurde. Kritik daran kam auch aus Berlin: „Es kann nicht sein, dass ein Staat ausgeschlossen wird bei Dingen, die ihn auch betreffen“, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes. Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sagte nach dem Treffen, man habe sich darauf geeinigt, „die Migrationsströme zu stoppen“.

Griechen fürchten riesiges Internierungslager

Die Griechen fürchten jetzt, dass sich ihr Land binnen weniger Tage in ein riesiges Internierungslager für Kriegsflüchtlinge und Armutsmigranten verwandeln wird. Die jüngsten Zahlen zeigen, wie begründet diese Sorge ist: In den vergangenen 48 Stunden kamen mehr als 7000 Schutzsuchende aus der Türkei nach Griechenland. Mazedonien ließ aber im gleichen Zeitraum lediglich 1100 Menschen zur Weiterreise auf der Balkanroute über die Grenze. Man könne bis zu 50.000 Flüchtlinge unterbringen und versorgen, heißt es im griechischen Innenministerium. Wenn der Zustrom im bisherigen Ausmaß weitergeht und die Balkanländer ihre Grenzen geschlossen halten, könnte diese Zahl binnen weniger Tage erreicht sein.

Die Erwartung, dass die Grenzschließungen die Flüchtlinge von der Überfahrt aus der Türkei abhalten würden, hat sich bisher nicht erfüllt. Am Donnerstagmorgen kamen 1350 Schutzsuchende mit Fährschiffen von den ostägäischen Inseln in Piräus an. Mehr als 1000 weitere waren auf anderen Fähren unterwegs, die am Abend in Piräus erwartet wurden. Auf dem Hafengelände werden die Neuankömmlinge provisorisch in Lagerhallen untergebracht. Freiwillige Helfer und Hilfsorganisationen bemühen sich um die Versorgung der Menschen. Aber es gibt nur unzureichende sanitäre Anlagen und wenige Waschmöglichkeiten.

Große Hilfsbereitschaft in Bevölkerung

Mit Hochdruck arbeiten jetzt das Innen- und Verteidigungsministerium daran, weitere Schlafplätze für die Menschen herzurichten, unter anderem in Kasernen der Streitkräfte. Insgesamt gibt es in Griechenland vier große Aufnahmelager, drei in Athen und eines in Thessaloniki, sowie zwölf weitere provisorische Unterkünfte in anderen Städten. Dort werden die Menschen in Pensionen, Turnhallen und leerstehenden Gebäuden untergebracht. Proteste der Bevölkerung gibt es nur vereinzelt. Unter dem Strich ist die Hilfsbereitschaft, mit der die Griechen bisher auf diese Herausforderung reagieren, beeindruckend.

Aber die Flüchtlinge gehen nur widerwillig in die Lager. Keiner will in Griechenland bleiben, sie streben nach Norden. An der mazedonischen Grenze, die mit immer neuen Zäunen und Stacheldrahtverhauen weiter abgeriegelt wird, warteten am Donnerstag über 4000 Menschen auf eine Weiterreise, die aber immer ungewisser wurde. Die mazedonischen Grenzpolizisten ließen bis zum Mittag nur etwa 100 Menschen einreisen. Bilder der Verzweiflung boten sich entlang der Autobahn, die von Athen nach Norden führt. Vielerorts stoppte die Polizei die Flüchtlingsbusse, um das Chaos an der mazedonischen Grenze nicht noch zu vergrößern. Tausende Menschen verbrachten die Nacht in den geparkten Bussen. Andere machten sich zu Fuß auf der Autobahn auf den mehrere hundert Kilometer langen Weg nach Norden, darunter viele Familien mit kleinen Kindern. Wegen der Flüchtlingstrecks kam zu riesigen Staus auf der wichtigen Europastraße E75.

Aussicht auf eine Weiterreise über den Balkan haben, sofern überhaupt, nur syrische und irakische Flüchtlinge mit gültigen Pässen. Andere Ankömmlinge lässt Mazedonien schon seit Tagen nicht mehr durch. Betroffen sind vor allem afghanische Flüchtlinge. Einer ihrer Treffpunkte ist der Athener Viktoria-Platz. Hier campieren Hunderte Menschen. Der Platz ist eine Art Börse: Die verzweifelten Ankömmlinge suchen hier Kontakt zu Schleusern, die ihnen eine Weiterreise nach Westeuropa versprechen, über Albanien oder als „blinde Passagiere“ mit einer der Adria-Fähren. Die „Fahrkarte“ kostet rund 3000 Euro.