Washington. Der Tod von Richter Antonin Scalia könnte die Verhältnisse am obersten US-Gericht nachhaltig verändern – zur Sorge der Konservativen.

Der plötzliche Tod eines ebenso gefürchteten wie umjubelten Top-Richters wirbelt den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf durcheinander. Wenige Stunden nach Ableben des erzkonservativen Antonin Scalia, der über Jahre im neunköpfigen Obersten Gericht in Washington Garant für gesellschaftlich wegweisende 5:4-Entscheidungen zugunsten der politischen Rechten war, ist ein massiver Streit um die Nachfolge entbrannt.

Für die Republikaner forderte Senator Mitch McConnell kategorisch, dass Präsident Obama vor der Wahl im November und der Amtseinführung des neuen Präsidenten im Januar 2017 keinen Nachfolger bestellt. Hintergrund: Die „Grand Old Party“ fürchtet die Nominierung eines liberalen Juristen. Er könnte gemeinsam mit den amtierenden vier moderaten Richterinnen und Richtern auf Jahre die Machtbalance verschieben und nachhaltig Einfuss auf die Entwicklung des Landes nehmen.

Richter am „Supreme Court“ haben viel Einfluss

Die Demokraten hingegen drängen Obama, die vakante Stelle zügig zu besetzen. Es stehen zu viele wichtige Entscheidungen an, sagte Senator Harry Reid. Eine lähmende 4:4-Patt-Situation am wichtigsten Gericht der USA könne man sich nicht erlauben. Das Weiße Haus teilte mit, dass Obama von seinem Besetzungsrecht Gebrauch machen wird. Zeitpunkt und Namen wurden nicht genannt. Was die Personalie laut US-Medien zu einem „dominierenden“ Wahlkampf-Thema machen wird. Es geht um elementare Machtfragen.

Antonin Scalia im Gespräch mit Präsident Ronald Reagan, der den Sohn sizilianischer Einwanderer 1986 an den Supreme Court berufen hatte.
Antonin Scalia im Gespräch mit Präsident Ronald Reagan, der den Sohn sizilianischer Einwanderer 1986 an den Supreme Court berufen hatte. © REUTERS | HANDOUT

Richter am „Supreme Court“ werden auf Lebenszeit gewählt. Sie sind das mächtigste Korrektiv der US-Politik. Ihre Urteile – Aufhebung der Rassentrennung, Legalisierung der Abtreibung – haben die Gesellschaft oft mehr verändert als die meisten Präsidenten. Andererseits kann jeder Präsident seinen Gestaltungsspielraum und den seiner Partei nachhaltig erweitern, wenn er nach Amtsverzicht oder Tod eines Richters einen Spitzenjuristen seiner Wahl aufstellt und die dafür nötige Unterstützung im Kongress (60 Stimmen) findet.

TV-Debatte von Todesmeldung überschattet

Scalias Tod, er starb am Samstag im Alter von 79 Jahren während eines Jagd-Aufenthalts in Texas im Schlaf an Herzversagen, überschattete am Samstag die TV-Debatte der Republikaner. Alle Präsidentschafts-Kandidaten hatten zuletzt betont, dass unter ihrer Führung nur erwiesen konservative Juristen für den „Supreme Court“ in Frage kommen, die dafür sorgen, dass Obamas Gesundheitsreform und die kürzlich landesweit legalisierte Homo-Ehe gekippt wird. Obamas Recht zur Nachbesetzung könnte diese Pläne durchkreuzen.

Hillary Clinton und Bernie Sanders bei den Demokraten erwarten, dass neue Richter den unter Obama erreichten Besitzstand sichern und das Gesetz revidieren, das den unbegrenzten Spendenfluss von Superreichen in Wahlkämpfe ermöglicht („Citizens United“).

Bisher standen sich am Supreme Court die konservativen Richter John Roberts, Clarence Thomas, Samuel Alito, Anthony Kennedy und Antonin Scalia auf der einen Seite und Ruth Bader Ginsburg, Stephen Breyer, Sonia Sotomayor und Elena Kagan auf der liberalen Seite gegenüber.

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Scalia wurde von Konservativen geliebt

Antonin Scalia, Sohn sizilianischer Einwanderer, war 1986 von Präsident Ronald Reagan ernannt worden. Der dienstälteste Richter am Supreme Court galt als brillanter, ungemein belesener Kopf mit beißendem Humor, der sich als Hüter der Verfassung verstand; und zwar wortgetreu so wie sie Ende des 18. Jahrhunderts formuliert wurde. Der neunfache Vater und 28-fache Großvater machte aus seinen erzkonservativen Ansichten, die sich auch aus seinem katholischen Glauben speisten, kein Geheimnis. Dass er in Fragen wie Guantanamo, Todesstrafe, Waffengesetze und Ehe mit Vorliebe linke Positionen zerrupfte, brachte ihm den Ruf eines „maliziösen Ideologen“ ein. Im konservativen Lager wurde er dagegen angehimmelt „wie der Papst“.

Vertreter beider Parteien wie auch Präsident Obama bezeugten in Stellungnahmen ihre „uneingeschränkte Bewunderung“ für das Lebenswerk des Opernfans, dem vor kurzem ein Theaterstück gewidmet wurde.