Cedar Rapids. Bei den US-Präsidentschaftswahlen wird es ernst: Wer den Stimmungstest in Iowa nicht besteht, schafft es auch nicht ins Weiße Haus.

So kurz vor dem ersten Etappenziel müssen in Amerikas umstrittensten Politik-Familienbetrieb alle ran. Also gehen Bill Clinton, schmal im Gesicht und grau geworden, und seine Tochter Chelsea, 35 und zum zweiten Mal schwanger, am Sonnabend um 20 Uhr als Erste auf die improvisierte Bühne in der mit selbst gemalten Plakaten geschmückten Turnhalle der Highschool von Cedar Rapids im verschlafenen US-Bundesstaat Iowa.

Nachdem der Beifall verebbt ist, bringen sie das Publikum mit Anekdoten über die Frau, die gleich im knallroten Hosenrock durch die Tür federn wird, auf Touren. „Ich kenn sie seit 45 Jahren. Sie ist einfach ein Weltklasse-Problemlöser“, sagt Bill. „Sie ist mein großes Vorbild“, ergänzt die strahlende Tochter.

Wie ein eingespieltes Moderatorenteam umgarnen die beiden die 800 Zuhörer und versprechen nichts weniger als die „künftige erste Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika“: Hillary Clinton. Schon am heutigen Montag wird sich in Iowa zeigen, ob der familiär bedingte Optimismus der früheren „First Family“ berechtigt ist. Im Frontstaat des Präsidentschaftswahlkampfes hat dann zum ersten Mal der Wähler das Wort.

1700 Wahlbezirke in 99 Landkreise

Alle Energien sind darauf gerichtet, möglichst viele der knapp eine Million Wahlberechtigten Iowas ab 19 Uhr vor die Tür zu locken. In 1700 Wahlbezirken in allen 99 Landkreisen kommen die eingetragenen Anhänger beider großen Parteien in Gemeindesälen, Turnhallen oder im Esszimmer des größten Bauern im Umkreis zusammen.

Im Stile einer Urwahl beratschlagen sie, wen Demokraten und Republikaner am besten in den Kampf ums Weiße Haus schicken sollten. Das engagierte Palaver, „Caucus“ genannt, ist traditionell die erste Hürde auf dem langen Marsch zur Macht, der am 8. November entschieden wird. So viel kann man sagen: Nicht jeder Kandidat, der im Caucus triumphiert, landet am Ende automatisch im Oval Office. Aber wem schon beim Marathon zwischen den im Winter schmutzigbraun in der Gegend liegenden Maisfeldern die Puste ausgeht, der schafft es meist nicht bis Washington.

Kümmerin der Mittelschicht

Dass Hillary Clinton trotz ihrer Niederlage bei den Vorwahlen 2008 an gleicher Stelle gegen Barack gute, wenn auch keine komfortabel guten Chancen besitzt, hat die für präzise Vorhersagen bekannte Regionalzeitung „Des Moines Register“ gerade erst veröffentlicht: 45 Prozent für Clinton, 42 Prozent für ihren sozialdemokratisch gestimmten Herausforderer Bernie Sanders.

Clinton möchte den Abstand verständlicherweise vergrößern. Darum sagt sie, was sie mit bebender Stimme bereits vor acht Jahren gesagt hat: dass sie nicht nur die konzeptionell bessere Kümmerin sei für die Anliegen der Mittelschicht. Sondern auch die einzige Kandidatin im Lager der Demokraten, „die von Tag eins an qua Erfahrung als Präsidentin voll regierungsfähig ist“. Lautstarker Jubel. „Wir stehen zu dir“-Rufe. Jesse McCormick, ein Ingenieur aus dem nahe gelegenen Moline, nickt: „Man muss wirklich nicht alles an ihr mögen. Aber sie ist einfach erfahrener als alle anderen.“

Dabei weiß auch Clinton, dass die entscheidende Währung beim heutigen Ritual amerikanischer Graswurzel-Demokratie schlicht Wahlbeteiligung heißt. Gelänge es Bernie Sanders, das junge Volk in den Universitätsstädten Iowas trotz des angekündigten Schneesturms in Scharen zu mobilisieren, und gelänge es Clinton umgekehrt nicht, die älteren Jahrgänge im Süden des unspektakulären Agrarstaates zu erreichen, könnte es eng für sie werden. Clinton weiß: Hier, in Iowa, werden Präsidentschaftskandidaten nicht unbedingt gemacht – aber sie können scheitern.

Trump mäßigt sich im Ton

Eine Sorge, die einige Stunden vorher in einem 90 Kilometer entfernt liegenden Städtchen, das ausgerechnet Clinton heißt, auch Donald Trump erkennen lässt, der in Umfragen vorn liegende Bannerträger der Republikaner. „Egal, ob ihr 40 Fieber habt oder sonst etwas – Leute, ihr müsst heute wählen gehen“, bläut Donald Trump seinen 2000 Zuhörern ein. Dabei ist der New Yorker Baulöwe vergleichsweise besser dran als Hillary. 28 Prozent der Stimmen werden ihm prophezeit. Für seine Hauptkonkurrenten Ted Cruz, Senator aus Texas, und Marco Rubio, Senator aus Florida, soll bei 23 beziehungsweise 15 Prozent Schluss sein.

Darum legt sich Trump am Wochenende noch einmal mächtig ins Zeug, pendelt in Iowa von einer gut besuchten Wahlkampfveranstaltung zur nächsten, schreibt Dutzende Autogramme, schüttelt ganz gegen sein Naturell Hunderte Hände und reduziert erheblich das, was ihn zuletzt selbst in den eigenen Reihen in Misskredit gebracht hat: die permanenten Schmähungen („alle dumm und inkompetent“) Andersdenkender; inklusive der amtierenden Regierung.

Grenze zu Mexiko und der Islamische Staat

Stattdessen feilt der Milliardär weiter an seiner Standardrede. Neben dem Bau einer „die illegale Einwanderung ein für alle Mal stoppenden“ Mauer an der Grenze zu Mexiko und einem rigorosen Auftreten gegenüber China und der Terrormiliz „Islamischer Staat“ („wir werden ihnen den Hintern aufreißen“) wiederholt er das Trump’sche Mantra: Einer muss das Land revolutionieren, auf dass Amerika wieder „stolzer, reicher, sicherer, gefürchteter und erfolgreicher werden kann“. Klar, dass der eine Trump ist.

Für Marc Geslani, Verlagsangestellter mit großer Neugier auf sämtliche Präsidentschaftskandidaten, ist diese Vorstellung sichtlich unbehaglich. Der 44-Jährige, der sich als Parteiunabhängiger bezeichnet, ist seit einer Woche in Iowa unterwegs, um möglichst viele Kandidaten aus der Nähe zu erleben. Leuten wie Ted Cruz, Marco Rubio und Chris Christie hat Geslani die Hand geschüttelt. Vereinzelt gab es sogar „interessante Dialoge“. Seiner Wahlentscheidung sei er dadurch noch nicht näher gekommen, sagte Geslani. Aber eines sei ihm klarer geworden: „Ein Sieg von Donald Trump in Iowa über Ted Cruz würde zum ersten Mal die Umfragen bestätigen. Das Trump-Phänomen würde sich als wahr herausstellen. Mit Iowa im Rücken könnte Donald Trump vielleicht nicht mehr zu bremsen sein.“